Macabros 100: Rha-Ta-N'mys Schreckenszentrum
ihren Tod… Es ist üblich,
Menschenopfer zu bringen, um Charko zu
besänftigen…«
»Wer ist Charko?«
»Charko – der Menschenfresser, eine Bestie, die jeden
reißt, der ihr begegnet, die hier in den undurchdringlichen
Wäldern zu Hause ist. Viele im Dorf wurden seine Opfer. Da haben
die Medizinmänner die Luft- und Elementargeister befragt, was
sie tun sollten, um der Gefahr endlich Herr zu werden. Sie erhielten
die Auskunft, an sieben aufeinanderfolgenden Tagen sieben Jungfrauen
zu opfern. Die schönsten Mädchen des Dorfes seien
auserkoren, Charko zu besänftigen. Nach dem geforderten Opfer
würde niemand mehr belästigt, verletzt oder getötet
werden. Das Dorf sei ein für alle Male frei… Das
Mädchen dort in der Grube – ist das letzte und siebte
Opfer. Die Tochter des Häuptlings… und da ist
Charko…«
Sie deutete mit der Hand nach rechts, und Björns Blicke
folgten der angegebenen Richtung.
Er konnte noch nichts sehen. Erst eine halbe Minute später
erschien Charko auf der Bildfläche.
Hellmark verschlug es den Atem.
Was sich da lautlos wie ein Schatten aus dem Dickicht jenseits der
Pyramide schob, war ein Mittelding zwischen einem zottigen, riesigen
Berglöwen und dem Körper einer Schlange! Ein solches
Zwitterwesen konnte nur dämonischen Ursprungs sein.
Das Monstergeschöpf glitt lautlos und schnell auf die Mulde
zu.
»Es dauert nur einen Augenblick«, flüsterte
Carminia, und ihr Gesicht war mit kalten Schweiß bedeckt. Ihre
Hände zitterten. »Am schlimmsten – ist die Todesangst!
Man erlebt alles bei vollem Bewußtsein mit… aber damals
wußte ich nichts von einem Leben zuvor als Loana, nichts danach
als Carminia Brado. Vielleicht gibt es im Leben jedes einzelnen
Menschen viele Stationen von Wiedergeburten, die er nur vergessen
hat. Diese Station, als Tochter des Häuptlings, hatte ich
beispielsweise vergessen. Aber jetzt fällt mir alles wieder
ein…«
Björn schluckte trocken. Das also war es. Carminia Brado war
in einer früheren Inkarnation jenes junge Mädchen gewesen,
das dem dämonischen Charko geopfert wurde!
*
Das Mädchen in der Mulde riß den Mund zum Schrei auf,
aber kein Laut kam über seine Lippen.
Sie wollte nicht schreien, durfte kein Zeichen der Schwäche
zeigen. Sie war als letzte auserwählt, das geforderte Opfer zu
erfüllen.
Auf der anderen Seite des Platzes, zwischen den Büschen und
dem Dickicht, hockten die Beobachter. Weiße Augäpfel
leuchteten aus der Dunkelheit.
Charko stieß blitzschnell nach vorn.
Hellmark sprang im gleichen Augenblick auf, ohne sich Gedanken
über sein Vorgehen und die Folgen seines Tuns zu machen. Er
konnte nicht mit ansehen, daß hier ein Mensch einer Bestie
quasi zum Fraß vorgesetzt war.
»Björn!« rief Carminia Brado, als er schon
davonjagte. »Nicht! Nicht eingreifen!«
Sie sprang auf. Hellmark war – das ›Schwert des Toten
Gottes‹ gezückt – schon vor Charko.
Das Eingeborenenmädchen im weißen Kleid warf den Kopf
herum. In den weitaufgerissenen Augen war Todesangst zu lesen.
Wenn Charko durch einen Hieb mit dem ›Schwert des Toten
Gottes‹ starb, dann stimmte die Abmachung nicht mehr, aber auch
Charko war keine Gefahr mehr für das Dorf. Die Vergangenheit
ließ sich ändern und…
»Aaaggghhh!« Der Schrei aus dem Mund des Mädchens
in der Mulde war so durchdringend, daß Hellmark einen Atemzug
lang irritiert war, zögerte. Zeit genug für Charko, das
angebotene Opfer anzuspringen, emporzureißen und mit einem
wilden Sprung zur Seite in das Dickicht hin auszuweichen und dem zu
spät angesetzten Schwerthieb zu entgehen.
In den Büschen knackte es.
Zweige wurden wütend beiseite gedruckt, dunkle, mit grellen
Farbstreifen bemalte Gestalten rannten auf sie zu.
Die Eingeborenen kamen aus allen Richtungen.
Im nächsten Moment – ohne die Chance einer Flucht zu
besitzen – waren sie umringt.
»Es ist die Vergangenheit«, flüsterte Carminia
Brado erregt. »Und sie hat uns – und in erster Linie in
dieser Situation wohl mich – eingeholt. Die Fremde hat es schon
am eigenen Leib verspürt. Sie ist ihrer Vergangenheit begegnet
Oh durch Zufall oder mit voller Absicht – Rha-Ta-N’my hat
für jeden einen individuellen Schrecken parat… In jener
Nacht, als Charko mich holte, hatte ich eine Vision. Ich sah einen
Mann, der der Mulde entgegensprang… ich weiß jetzt alles
wieder. Woher der Fremde kam, wer er war – das sollte ich nicht
mehr erfahren. Ich starb in Charkos Klauen… Nun bin
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