1685 - Angriff der Racheengel
Durch den Granatenhagel war seine Stellung mürbe geschossen worden. Er hatte bisher Glück gehabt, hielt sich geduckt im Schützengraben auf. Er gehörte zu den wenigen Soldaten, die überlebt hatten.
Viele seiner Kameraden hatte es erwischt. Sie lagen verteilt in der Nähe. Manche Körper waren zerfetzt. Andere wiederum sahen aus, als würden sie nur schlafen.
Bilic kämpfte noch. Oder was man so kämpfen nannte. Er presste sich gegen die Lehmwand des Grabens und lauschte. Er hörte das Stöhnen und Jammern der Verletzten, um die sich niemand kümmerte. Auch er würde ihnen nicht helfen können und Sanitäter gab es nicht.
Die Schreie waren verstummt. Sie konnten einen Menschen fertigmachen. Es war ruhiger geworden, aber Bilic wusste, dass es nur die Ruhe vor dem Sturm war.
Sterben wollte er nicht. Nein, nicht im Alter von zwanzig Jahren, aber danach fragte niemand. Doch welche Chancen hatte er? Der Hass auf beiden Seiten war zu groß, obwohl sich die Menschen mal als Brudervölker angesehen hatten.
Welchen Ausweg gab es?
Keinen, das musste Bilic sich selbst gegenüber zugeben. Er konnte nicht fliehen, denn seine Abteilung steckte in einem Kessel. Sie waren umzingelt.
Der nächste Angriff würde kommen, nachdem man ihre Deckung sturmreif geschossen hatte. Ob dabei noch mal Granatwerfer eingesetzt werden würden, wusste er nicht. Wahrscheinlich nicht. Die Truppen würden zu Fuß kommen und alles überrennen, auch ihn.
Er wusste nicht, ob es besser war, in Gefangenschaft zu geraten oder getötet zu werden. Als Gefangener starb man langsam. Da kam die Folter hinzu. Alles das, was es angeblich in Europa nicht mehr geben sollte, wurde hier wieder angewendet. Er hatte viel darüber gehört.
Bilic besaß noch sein Schnellfeuergewehr. Auch die Waffen der Toten hätte er an sich nehmen können, aber was brachte ihm das? Vielleicht würde er den einen oder anderen Feind noch in die Hölle schicken können, aber darauf konnte und wollte er sich nicht verlassen.
Goran Bilic kroch am Hang des Grabens in die Höhe. Er wollte den Feind zumindest sehen, wenn er kam, und wenig später hatte er einen freien Blick.
Der Schock traf ihn tief. Es lag an dem Bild, was er zu sehen bekam, und jetzt hörte er auch die rasselnden Geräusche.
Im Hintergrund hatten sich die Panzer in einer breiten Reihe aufgestellt. Und genau jetzt setzten sie sich in Bewegung. Eine mächtige Maschinerie rollte an, die alles, was sich ihr in den Weg stellte, zermalmen würde. Vor den Panzern marschierten die Soldaten, bereit, jeden Widerstand sofort im Keim zu ersticken. Sie würden ohne Vorwarnung schießen, so gnadenlos waren sie immer gewesen.
Bilic wusste, dass er aus dem Graben musste. Er konnte sich ausrechnen, wann ihn die Panzer erreicht hatten, und die würden nicht wegen ihm stoppen.
Aus dem Graben klettern, das Gewehr wegwerfen, die Arme hochreißen, das war es dann. Und er konnte nur darauf hoffen, dass der Feind gnädig mit ihm umging. Wobei er darauf keine Wette abschließen würde, denn seine Leute waren mit Gefangenen auch nicht anders umgegangen.
Er schlug ein Kreuzzeichen, obwohl er nicht gläubig war. Eine reine Routine, mehr nicht. Danach setzte er sein Vorhaben in die Tat um. Er kletterte aus dem Graben und schob sich bäuchlings über den Rand hinweg, bevor er sich aufrichtete und sichtbar sein Gewehr zur Seite schleuderte, bevor der Gegner falsch reagierte und anfing zu schießen.
Die Panzer hatten sich zwar bewegt, doch Bilic hatte den Eindruck, als wären sie kaum vorangekommen. Dafür aber die Soldaten, die vor den Maschinen her liefen. Sie sahen ihn sehr deutlich. Er hörte ihre Schreie und einige von ihnen liefen schneller. Drei aus den Reihen der Feinde hatten es auf ihn abgesehen. Sie schrien ihn an. Sie hielten die Gewehre schussbereit und er hörte den Befehl, sich auf den Boden zu werfen, was er sofort tat.
Es war für den Kämpfer Bilic schlimm. Er hatte Menschen immer verachtet, die eine Demutshaltung einnahmen. Dieses Hinknien empfand er als schlimm, und er wusste auch, dass in dieser Position viele Menschen erschossen worden waren.
Das Schicksal drohte ihm auch …
Schneller, als er gerechnet hatten, waren sie bei ihm. Sie sprachen ihn an, schimpften ihn aus, traten gegen seine Hüften, und dann spürte er den Druck einer Gewehrmündung im Nacken.
»Das ist ja Goran Bilic«, sagte einer.
»Kennst du ihn?«
»Klar. Von früher.« Ein Lachen erklang. »Wir sind schon damals keine Freunde gewesen, aber
Weitere Kostenlose Bücher