Macabros 109: Vontox - Der Magier aus Lemuria
sein könnte. Sie hatte sich – im Beisein von Dr.
Fredon – erstaunlich gut unter Kontrolle gehabt…
Ob da etwas nicht stimmte?
Draußen klappte die Haustür. Sein Gehör war
hochempfindlich. Ihm entging nicht das feinste Geräusch.
Wenn er jetzt nur sehen könnte, wohin sie sich begaben, wenn
er nur bei ihnen sein könnte, um…
Da ging es wie ein Ruck durch sein Bewußtsein.
Etwas löst sich von ihm. Ein heller Blitz, der die Dunkelheit
spaltete.
Es war, als würde im gleichen Augenblick ein neuer Sinn
geboren. Er registrierte auf eine Art Dinge und seine Umwelt, die er
so noch nicht wahrgenommen hatte.
Unten war plötzlich oben. Schwerelosigkeit wie im Weltraum.
Und dann sah er sich.
Er lag auf der Couch, bleich und reglos. Er schwebte über
seinem Körper.
Erschrecken und Triumph erfüllten ihn und hielten sich die
Waage.
Von diesen Eindrücken hatte er schon gelesen.
Menschen, die klinisch tot waren, hatten später – als
man sie wieder zum Leben zurückrief – davon berichtet.
Erlebnisse im Augenblick des Sterbens. Man sah seinen Körper
von oben, über dem man schwebte…
Die Seele, der Geist existierte weiter!
Dieser Gedanke erfüllte ihn mit einer solchen Freude,
daß er aufjubelte. Aber es war nichts zu hören. Sein Jubel
vollzog sich in endloser Stille.
Er war wieder beweglich. Nicht sein ursprünglicher
Körper, der nur eine leere, reglose Hülle war. Ein neuer
Körper – einer aus Geist, gehörte ihm.
Und die Gedanken – waren das Transportmittel, mit denen er
sich jäh an diesen und jenen Punkt versetzen konnte.
Er dachte an Lorette – und sah sie.
Sie stand draußen in der Halle, die Hand am Telefon und
wählte eine Nummer. Er wußte, wen sie anrief, noch ehe der
Vorgang abgeschlossen war: Josephine, ihre Schwester.
Mit tonloser Stimme sagte sie, was sich ereignet hatte.
»Fahr gleich los, wenn du es irgendwie einrichten
kannst… Ich kann nicht allein sein, nicht in dieser Minute…
ich kann nicht länger sprechen, entschuldige…« Lorette
Grandes letzte Worte waren kaum noch zu vernehmen. Sie gingen im
Schluchzen unter, und dann begann sie haltlos zu weinen. Alle
Schranken fielen.
Unendliche Trauer erfüllte Henri Grande.
›Du brauchst dir keine Sorgen zu machen‹, sagte er. Er
stand direkt neben ihr, ihn dauerte ihr Zustand. ›Es geht mir
gut, ich habe keine Schmerzen… Ich fühle mich
wunderbar…‹ Aber sie hörte ihn nicht.
Er streckte seine Hand nach ihr aus und fuhr ihr sanft über
das dunkle, seidig schimmernde Haar.
Aber sie spürte seine Berührung nicht.
Eine unüberwindbare Mauer bestand zwischen ihnen. Es war die
Barriere zwischen Leben und Tod.
Lorette hatte aufgelegt. Haltlos schluchzte sie, ließ den
Tränen freien Lauf und ging dann wankend in das große,
luxuriös eingerichtete Wohnzimmer zurück, in dem die Leiche
noch immer lag.
Wie in Trance näherte sie sich dem Toten, blickte ihn aus
leeren Augen an, brach dann vor ihm in die Knie und umarmte ihn.
»Henri…«, wisperte sie erschüttert.
»Henri – komm wieder! Laß mich nicht allein…
Laß die alles nur ein Irrtum sein!«
>Es ist ein Irrtums hörte er sich sagen, aber wiederum
reagierte sie nicht.
Ob sich diese makabre Situation bei jedem Sterbenden einstellte
– oder war sie ein einmaliger Fall?
Er, Henri Grande, war einfach gestorben. Die Todesursache stand
noch nicht fest.
Aber er war frei, nicht ohne Bewußtsein und bekam
alles mit, was sich ringsum abspielte, ohne allerdings auf seine
Anwesenheit aufmerksam machen zu können.
Er konnte hier und anderswo sein und zwar im gleichen Moment, in
dem er daran dachte. Dem Geist waren – im Vergleich zum
Körper – keine Grenzen gesetzt.
Und während er das noch dachte, lockerte sich seine Umgebung
auf seltsame Weise auf.
Er sah seinen toten Leib nicht mehr, nicht mehr das Zimmer, in dem
er lag, und nahm Lorette nicht mehr wahr.
Er mußte daran denken, wie das wohl bei seinem Vater und
seiner Mutter gewesen war, die beide vor einigen Jahren starben.
Seine Mutter schon vor zehn Jahren, sein Vater vor einem
Jahr…
Da war er auch schon außerhalb des Hauses, draußen im
Garten.
Er blickte sich um, sah die Bäume mit den gelben und roten
Blättern und das Laub, das der kühle Wind durch den Park
wehte.
Und hörte eine Stimme.
»Henri?« fragte sie. Dann ein leises Lachen. »Auf
den kann ich stolz sein, Claude. Er hat das Geschäft fest im
Griff. Ich denke da viel zu altmodisch. Ich hatte den Schwung
verloren und die
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