Macabros 121: Höllenmarionetten
deinem Leben eine
große Rolle. Vielleicht hast du dir immer gewünscht, ihn
mal wiederzusehen.«
»O ja«, gestand Susan Kelly der Freundin, »das habe
ich oft.«
»Na, siehst du! Und dann kam der Augenblick, in dem du
glaubtest, ihn wirklich vor dir gesehen zu haben.«
Susan Kelly seufzte und fuhr sich durch das zerwühlte Haar.
»Ich bin völlig durcheinander, Grit. Ich weiß nicht,
was ich noch denken soll.«
»Das kann ich mir vorstellen. Dann ist es gut, daß ich
jetzt angerufen habe. Das Wetter ist herrlich. Wir fahren ’raus.
Nach Amsterdam oder zum Strandbad Scheveningen. Irgendwie kriegen wir
den Tag schon herum. Es wäre idiotisch, bei solchen Temperaturen
zu Hause zu sitzen. Und für dich ist es wichtig, daß du
Abwechslung hast und so schnell wie möglich auf andere Gedanken
kommst.«
Susan Kelly war froh, daß die Freundin die Initiative
ergriff.
Sie beeilte sich, um fertig zu werden.
Nach einer kalten Dusche fühlte sie sich bereits wohler, ihre
Lebensgeister waren neu geweckt.
Sie trank eine Tasse heißen Kaffee, räumte
sämtliche Bilder weg und verließ eine Stunde nach dem
Anruf der Freundin ihre Wohnung.
Susan Kelly benutzte nicht den Lift, sondern ging über die
Treppe nach unten. Vier Stockwerke tief.
Aber sie kam nie unten an!
Auf dem Treppenabsatz zur zweiten Etage stand plötzlich wie
aus dem Boden gewachsen eine Gestalt vor ihr.
In Gedanken versunken, wollte die Neununddreißigjährige
ausweichen, um der anderen Person Platz zu machen.
Da sah sie, daß es sich um ihren Großvater
handelte.
Er nahm sie mit…
*
Grit Boerhave wartete vergebens.
Sie suchte auf ihrem Autoradio einen Sender, der flotte Musik
brachte und summte die Melodie fröhlich mit.
Aus der Fröhlichkeit wurde schließlich eine gewisse
Verärgerung und dann – Sorge.
Susan war stets pünktlich. Man konnte sich auf sie verlassen,
wenn sie etwas sagte. Zwanzig Minuten über der Zeit – das
war mehr als ungewöhnlich.
Nachdenklich verließ die
fünfunddreißigjährige Holländerin ihren
cremefarbenen Daf und lief zur Haustür. Grit Boerhave legte den
Finger auf den Klingelknopf und drückte mehrere Male fest
darauf.
Dann wartete sie.
Als sich weder Susan Kellys Stimme in der Sprechanlage meldete,
noch das Fenster der Wohnung zur Straße sich öffnete,
wurde die Frau nervös.
Sie eilte durch den Flur und ließ sich mit dem Lift nach
oben tragen. An Susan Kellys Wohnungstür klingelte und klopfte
sie. Aber niemand rührte sich.
Da wurde aus Grit Boerhaves Unruhe – Angst.
Die Niederländerin wußte nicht, was sie von dieser
Situation halten sollte.
Vor rund zwanzig Minuten – nach ihrer Ankunft mit dem Wagen
– hatte Susan sich noch auf dem vorderen Balkon gezeigt, ihr
zugewunken und hinuntergerufen, daß sie kommen werde.
Seitdem wartete Grit Boerhave vergebens.
Da war etwas passiert!
Susan war möglicherweise wieder ohnmächtig geworden wie
schon mal in der vergangenen Nacht.
Der Hausmeister wohnte im ersten Stock. Ihn suchte Grit Boerhave
auf.
»Sie müssen sofort die Wohnung öffnen«,
verlangte sie. »Bei Frau Kelly… sie ist in Gefahr und
braucht möglicherweise einen Arzt.«
»Was ist denn passiert?« wollte der Mann wissen.
»Wenn ich das wüßte, wäre mir auch wohler.
– Beeilen Sie sich! Vielleicht ist jede Minute
kostbar.«
Sie liefen rasch nach oben, und der Mann vergewisserte sich erst
durch Klingeln, daß Susan Kelly wirklich nicht aus eigener
Kraft imstande war, die Tür zu öffnen.
Dann schraubte er das Schloß ab. Drei Minuten später
betraten sie gemeinsam die Wohnung.
»Niemand da«, sagte der Hausmeister verwirrt. »Was
für eine Geschichte haben Sie mir denn da aufgetischt?«
reagierte er unwirsch.
Grit Boerhave war blaß geworden. Nervös fuhr sie sich
durch das glatte, aschblonde Haar. »Das… verstehe ich
nicht«, stammelte sie verwirrt. »Sie wollte herunterkommen,
ich habe vergebens auf sie gewartet…«
»Sie wird das Haus verlassen haben, ohne daß Sie es
bemerkten«, fiel der Hausmeister ihr ins Wort.
»Nein«, Grit Boerhave schüttelte heftig den Kopf.
»Ich parke mit meinem Wagen genau vor dem Eingang. Ich
hätte Frau Kelly aus dem Gebäude kommen sehen
müssen…«
»Aber – sie ist nicht gekommen?«
»Nein.«
»Kein Mensch kann sich in Luft auflösen.«
»Normalerweise nicht«, bemerkte Grit Boerhave
beiläufig mit belegter Stimme.
Die Dinge nahmen ihren Lauf.
Grit Boerhave und der Hausmeister durchsuchten das ganze
Gebäude. Als sich
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