Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
der Kirche geht auch der Staat zugrunde. Denn die Menschen müssen an Gott glauben, um den Gesetzen bis zur Selbstaufopferung zu gehorchen. Nur wenn sie davon überzeugt sind, beim Verstoß gegen die Gesetze des Staates von Gott selbst bestraft zu werden, werden sie gute Bürger. So kann laut Machiavelli auch die Religion zum heilsamen Betrug werden. Den größten Ruhm unter allen Menschen gewinnt daher der kluge Staatsmann, der eine Staatsreligion begründet, an die alle Bürger außer ihm selbst und einigen Eingeweihten rückhaltlos glauben. Diese Wenigen dürfen nicht daran glauben, damit sie notfalls mit der Religion betrügen können, zum Beispiel dadurch, dass sie «Gottesurteile» so manipulieren, dass der Kampfgeist der Soldaten dadurch gestärkt wird. Die christliche Religion aber, so wie sie das Papsttum der Gegenwart repräsentiert, ruiniert die Politik. Unglaubwürdig, wie sie durch den Lebenswandel der Päpste geworden ist, verführt sie die Menschen dazu, sich ins Privatleben zurückzuziehen, und schwächt dadurch den Staat, der allein den Menschen zum Menschen macht.
Solche Sätze stehen in Machiavellis ersten Hauptwerken: De principatibus, von den Fürstentümern, bekannter unter dem Titel Il principe, der Fürst, und Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio, Abhandlungen über die erste Dekade des (römischen Historikers) Titus Livius. Sein Buch vom Fürsten schickt Machiavelli Ende 1513 an den florentinischen Botschafter in Rom, der es Giuliano de’ Medici, dem Bruder Papst Leos X., und möglichst auch diesem selbst als Lektüre empfehlen sollte. Davon erhoffte sich Machiavelli, der kurz zuvor sein Amt in der Kanzlei der Republik Florenz verloren hatte, eine Wiederaufnahme in den öffentlichen Dienst. Doch daraus wurde nichts. Ob die beiden Medici das Buch vom Fürsten überhaupt gelesen haben, ist unbekannt. Was sie zur These gesagt hätten, dass der vollendete Fürst Fuchs und Löwe sein, heucheln und sein Wort brechen muss, lässt sich nur vermuten. Leo X. beherrschte alle diese Techniken ausgezeichnet. Doch deswegen wollte er sie noch lange nicht als anerkannte Ratschläge vor Augen haben. Dadurch, dass er das zur politischen und moralischen Norm erhob, was die Mächtigen heimlich, von Propaganda und Ideologie verhüllt, taten, brach Machiavelli das letzte Tabu.
In ihrem Urteil, dass ein Tabubrecher wie Machiavelli für ihre Dienste nicht in Frage kam, sahen sich die Medici auch in der Folgezeit bestätigt. Sieben Jahre nach seinem Buch von den Fürstentümern zeigte ihnen Machiavelli in einer Denkschrift, wie sie ihre Herrschaft in Florenz neu ordnen sollten. Diese war in seinen Augen die schlechtest mögliche, nämlich weder Republik noch Monarchie, sondern eine fatale Mischung aus beidem: Die Medici herrschten hinter einer republikanischen Fassade als verkappte Fürsten. Als solche begünstigten sie einseitig ihre Gefolgsleute und machten sich dadurch bei der großen Mehrheit der Florentiner verhasst. Allein schon diese Feststellung war kühn genug. Doch die Rezepte, zu denen der selbst ernannte Meisterdenker riet, waren noch viel provozierender. Die Medici sollten die politischen Verhältnisse von Florenz nach antiken Vorbildern so umgestalten, dass die drei guten Verfassungen Monarchie, Aristokratie und Demokratie mit ihren Kernelementen vermischt würden. Zugleich erhielten sie das Recht, alle Schlüsselpositionen mit ihren Anhängern zu besetzen – Macht und Sicherheit der führenden Familie wurden so zum obersten Staatszweck. Doch das galt nur auf Zeit, genauer: so lange die letzten Medici lebten. Und das würde aller Voraussicht nach nicht mehr lange dauern. Der ganze Text war somit ein einziger Nachruf: Ihr müsst sterben, damit Florenz blühen kann. Dass die Medici auf die Dienste dieses Ratgebers dankend verzichteten, verwundert wahrlich nicht.
Das alles waren gewagte, nicht selten krasse Thesen. Für sie war Machiavelli schon als Diplomat der Republik zwischen 1498 und 1512 berüchtigt. Er solle die Gespräche, die er mit den Herrschern fremder Mächte führte, getreulich protokollieren und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen gefälligst seinen Auftraggebern überlassen – so lautete die stereotype Kritik der zuständigen florentinischen Stellen an den Berichten des Gesandten Machiavelli. Man erwartete von ihm Fakten, Fakten und noch mehr Fakten: Zahlen zu Truppenstärken und Finanzaufkommen, doch bitte keine Diskurse darüber, wie sich Florenz auf internationalem
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