Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
PROLOG: «EIN DURCH UND DURCH SCHÄDLICHER MENSCH»
Der Provokateur
Ich sage Euch, dass Ihr ein durch und durch schädlicher Mensch seid und dass ich Euch nicht in meinem Haus haben möchte … Von Grund auf destruktiv seid Ihr, im Wesen schwärzer als Kohle.[ 1 ]
So urteilte Filippo de’ Nerli, der päpstliche Gouverneur von Modena, über seinen florentinischen Mitbürger Niccolò Machiavelli in einem an diesen gerichteten Brief vom 1. November 1526. Woher rührte dieser Zorn? Vier Tage später berichtete der so Beschimpfte an einen anderen hohen Würdenträger, Francesco Guicciardini, den Statthalter Papst Clemens’ VII. in der Romagna:
Kaum kam ich nach Modena, da traf ich schon Filippo de’ Nerli, der mich zur Rede stellte: Ist es wirklich möglich, dass ich nichts Sinnvolles getan haben soll? Ich entgegnete ihm daraufhin lachend: Herr Gouverneur, so ist es, doch wundern Sie sich nicht darüber – es ist auch nicht Ihre Schuld. Die Verhältnisse dieses Jahres sind nun einmal so, dass niemand auch nur ansatzweise etwas richtig gemacht hat – im Gegenteil.[ 2 ]
Die Zeiten waren äußerst angespannt. Ein kaiserliches Heer aus zerlumpten, halb verhungerten spanischen und deutschen Söldnern war in Norditalien eingefallen und drohte demnächst gegen Florenz und Rom zu ziehen. Kein Wunder, dass bei den Mächtigen die Nerven blank lagen. Dann kam zu allem Überfluss Niccolò Machiavelli als Abgesandter einer florentinischen Behörde, die keinerlei Macht und noch weniger Geld hatte, und sagte den hohen Herren ins Gesicht, dass sie von den Problemen der Zeit kaum etwas verstanden und noch weniger richtig gemacht hatten. Damit es ordentlich weht tat, kleidete dieser zweitklassige Diplomat seine vernichtende Kritik auch noch in ätzende Ironie ein. Für diese Art von beißendem Humor auf Kosten der anderen war Machiavelli bekannt und berüchtigt.
In ruhigeren Zeiten hatte man ihn als Verfasser ebenso witziger wie unmoralischer und zudem latent politischer Komödien durchaus schätzen gelernt. Eines seiner Lustspiele war sogar im Oktober 1525 zur Unterhaltung der gestressten Herrschaften in Modena aufgeführt worden. Es handelte von einem Ehebruch, der am Ende alle glücklich machte, nicht zuletzt den gehörnten Ehemann selbst. Um diese Operation zum Erfolg zu führen, hatte sich ein regelrechtes Komplott gebildet, doch hatten alle Verschwörer durchgehend ein reines Gewissen. Darüber konnten die Politiker und Generäle herzlich lachen, das war beste Truppenbetreuung im Stil der Renaissance. Dass der Autor dieses Loblieds auf den Betrug sie selbst jetzt als politische Irrläufer verspottete, fanden sie hingegen nicht mehr komisch. Hier wurde keine Komödie gespielt, hier ging es um Leben und Tod. Hier waren die Meinungen gesetzter, staatskluger Männer gefragt, nicht die von Exzentrikern wie Machiavelli, die sich die Deutungshoheit über die Geschichte und die Gegenwart anmaßten.
Den Ruf der intellektuellen und moralischen Extravaganz hatte sich Niccolò Machiavelli selbst bei seinen Freunden gründlich erworben, wie ein Brief Francesco Guicciardinis vom 18. Mai 1521 bezeugt:
Doch billige ich Eure Wahl nicht, denn sie scheint mir Eurer Urteilsfähigkeit und jener der anderen nicht angemessen, und zwar umso mehr, als Ihr stets in höchstem Maße von der vorherrschenden Meinung abgewichen und als Erfinder neuer und ungewöhnlicher Dinge bekannt seid …[ 3 ]
Das hieß im Klartext: Ihr treibt es zu weit, ihr tretet die Werte der Gesellschaft mit Füßen. Wo hörte für Guicciardini, der so manchen Scherz vertragen konnte, der Spaß auf? Machiavelli war mit einer ganz besonderen Mission in das unweit Modena gelegene Städtchen Carpi gereist. Er sollte unter den Franziskaner-Mönchen, deren Kapitel dort tagte, einen vorbildlichen Prediger für die Fastenzeit in Florenz auswählen. Diese Kür sollte er nach den Kriterien der Frömmigkeit, der Gelehrsamkeit, der Beredsamkeit und des sittlichen Lebenswandels vornehmen – wie es sich für einen guten Christen gehörte. So lauteten die Instruktionen, die Machiavelli vom florentinischen «Innenministerium» der Otto di Pratica mit auf den Weg gegeben worden waren.
Dieser legte die Anweisungen auf seine Weise aus, wie er Guicciardini schildert:
Ich dachte gerade über die Seltsamkeiten dieser Welt nach, als Euer Bote eintraf, und war gerade dabei, mir einen Prediger für Florenz vorzustellen, und zwar einen, der mir gefiel, denn darin bin ich eigensinnig, wie bei
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