Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
eine Energie erzeugt, die sich in erfolgreiche Expansion umwandeln lässt. Jeder Bürger muss daher zugleich Soldat sein. Wird diese Einheit aufgebrochen und der Krieg zum exklusiven Metier professioneller Söldner, ist daher auch politisch alles verloren.
Der höchste Ruhm der Republik besteht darin, andere Staaten zu erobern. Dabei sind alle die Methoden der Gewalt und der Unterdrückung geboten, die sämtliche Theologen und Philosophen bislang als unmoralisch angeprangert haben. So muss eine Republik, die eine andere Republik erobert hat, die unterworfene Führungsschicht auslöschen; reicht das nicht aus, um das besiegte Gebiet zu befrieden, werden ganze Völkerschaften zwangsdeportiert. Bei der Eroberung selbst kommen alle Arten der Grausamkeit zum Einsatz. Der Zweck heiligt die Mittel. Doch die zielgerichtet eingesetzte Gewalt ist nur die eine Seite der Medaille.
Der vollendete Politiker muss nicht nur skrupellos vorgehen, sondern auch betrügen und Verträge brechen können. Ja, er muss geradezu Löwe und Fuchs in einer Person sein. Das heißt, er muss täuschen, was das Zeug hält: Der Eroberer in spe muss denjenigen, die er unterwerfen will, Freundschaft und Solidarität vorgaukeln und sie durch diese Beteuerungen guter Gesinnung zu Bundesgenossen machen, um danach die Schlinge der Unterjochung allmählich zuzuziehen. Umgekehrt ist der Mächtige, der sich an sein einmal gegebenes Wort hält, verloren, denn er hat die Freiheit zu täuschen verloren. Das ist deshalb fatal, weil die Menschen betrogen werden wollen. Sie wollen betrogen werden, weil sie sich selbst und ihre Mitmenschen permanent betrügen: Sie schreiben sich edle Motive wie Mitmenschlichkeit und Frömmigkeit zu und frönen doch nur ihrem krassen Egoismus.
Moral und Politik sind absolute Gegensätze. Ein Fürst, der milde sein möchte, wie es die Kirche (die es selber nicht ist) vorschreibt, und daher in seinem Herrschaftsgebiet den Reichen und Mächtigen die Zügel schießen lässt, ist in Wirklichkeit grausam, weil die kleinen Leute die Zeche für seine Schwäche zahlen müssen. Unter dem Strich steht also eine Umwertung aller Werte.
In der Politik erweisen sich die Regeln der verbürgten Moral nicht nur als untauglich, sondern geradezu als kontraproduktiv. Aus Gut wird gesetzmäßig Böse. Und das war laut Machiavelli schon immer so. Bereits am Beginn der Geschichte haben die Dreistesten und Rücksichtslosesten nach Besitz und Macht gegriffen und die so entstandenen Herrschaftsverhältnisse danach durch wohltönende Phrasen von Gott, Verdienst und Gemeinwohl gerechtfertigt. Alle soziale und politische Ordnung beruht daher ursprünglich auf Willkür, Ausbeutung und systematischer Irreführung. Doch der Betrug lässt sich auch gegen die Herrschenden wenden.
Wer verstanden hat, wie die Macht gewonnen und ausgeübt wird, kann dieses Wissen zu Zwecken des Umsturzes verwenden. Die Verdammten dieser Erde müssen nur die Mächtigen aus ihren prunkvollen Palästen vertreiben, die Mönche von den Kanzeln für sich predigen lassen, und schon ist das Unterste nach oben gekehrt. Diese Lehre der sozialen Revolution entwickelte Machiavelli in einem Geschichtswerk für die Medici, die herrschende Familie von Florenz. Deren Oberhaupt, Papst Clemens VII., konnte darin ausführlich nachlesen, mit welch verwerflichen Methoden seine Vorfahren an die Macht gelangt waren: als Häupter einer Interessengruppe, Strippenzieher hinter den Kulissen, als Paten von Florenz.
Die Herrschaft der Medici an der Spitze einer meistbegünstigten Clique ist ein Zerrbild der wahren Republik. Im Florenz der Medici kommen die Speichellecker, die Gesinnungstüchtigen, die Höflinge und Opportunisten nach oben; zum Lohn ihrer Servilität dürfen sie von den Genüssen der Macht kosten und alle Gesetze straflos übertreten.
Der Tabubrecher
Betrug ist für Machiavelli auch die Religion. Das Christentum betrügt zum Nutzen und Frommen der Mächtigen, da es Leiden statt Widerstand lehrt. Auf der christlichen Religion lässt sich so, wie sie heute gelehrt wird, kein dynamischer Staat aufbauen. Im Gegenteil: Die christliche Religion hat zumindest in Italien die Grundlagen der Politik irreparabel zerstört. Die Päpste lehren Sanftmut, Verzicht und Nächstenliebe und erobern für ihre verdienstlosen Neffen mit allen Mitteln des Betrugs und der Gewalt eigene Staaten. Wer das Gegenteil von dem lehrt, was er vorlebt, wird unglaubwürdig – und mit ihm die Institution, der er vorsteht. Mit
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