Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
Vom Netzwerk:
und spricht eine Zauberformel:
    »Kalk der Austreibung. Ich treibe den Polypen aus; ich treibe die Teo-Schlange aus; ich treibe den Geist Ingiets (eine Geheimgesellschaft) aus; ich treibe den Krebs aus; ich treibe die Wasserschlange aus; ich treibe die Balivoschlange aus; ich treibe den Python aus; ich treibe den Kajahund aus. Kalk der Austreibung. Ich treibe die schleimige Flüssigkeit aus; ich treibe die kriechende Kete-Pflanze aus; ich treibe To Pilana aus; ich treibe To Wuwu-Tawur aus; ich treibe Tumbal aus. Man hat sie tief im Meer versenkt. Rauch soll steigen, um sie fernzuhalten; Wolken sollen sich erheben, um sie fernzuhalten; Dunkelheit soll herrschen, um sie fernzuhalten; sie sollen sich hinwegheben in die Tiefen des Meeres.« (4)
    Man darf nicht glauben, dass diese Formel gewöhnlich ohne
Wirkung bliebe. Wilde unterliegen der Suggestion in viel höherem
Maße als zivilisierte Menschen, und ihre Krankheiten können auf
diese Weise oftmals sowohl hervorgerufen wie auch geheilt werden.
Nach Rivers ist in den meisten Gegenden Melanesiens der Mann,
der Krankheiten heilt, der Zauberer oder Priester. Es gibt dort
offenbar keine sehr klare Unterscheidung zwischen Medizinmännern und anderen, und einige der einfacheren Heilmittel können von jedermann angewendet werden. Aber:
    »Jene, die ärztliche Praxis mit magischen oder religiösen Riten verbinden, erwerben ihre Fähigkeit durch einen besonderen Vorgang, entweder durch Einweihung oder Unterricht, und in Melanesien müssen diese Kenntnisse immer erkauft werden. Die vollständigste Unterweisung in einem Zweig der medizinisch-magischen oder der medizinisch-religiösen Kunst nützt dem Schüler nicht, wenn er dem Lehrer nicht Geld gegeben hat.« (5)
    Aus solchen Anfängen ist die Entwicklung einer festumrissenen Priesterkaste leicht vorzustellen. Sie besitzt das Monopol für die wesentlichen zauberischen und religiösen Kräfte und damit eine große Autorität über die Gemeinschaft. In Ägypten und in Babylonien erwies ihre Macht sich als stärker als die des Königs, als beide in Konflikt gerieten. Sie besiegten den atheistischen Pharao Echnaton und scheinen dem Cyrus verräterisch geholfen zu haben, Babylon zu erobern, weil ihr eingeborener König einen Hang zum Antiklerikalismus zeigte.
    Griechenland und Rom nahmen im Altertum eine Sonderstellung ein durch ihre fast völlige Unabhängigkeit von priesterlicher Macht. In Griechenland konzentrierte sich eine derartige religiöse Macht vor allem in den Orakeln, in erster Linie in Delphi, wo, wie man glaubte, die Pythia in Verzückung geriet und Eingebungen Apollos offenbarte. Es war immerhin zu Herodots Zeiten wohlbekannt, dass das Orakel bestochen werden konnte. Herodot und Aristoteles erzählen beide, dass die Alkmäoniden, eine vornehme Familie aus Athen, die von Pisistratus (gestorben 527 v. Chr.) verbannt worden waren, sich auf korrupte Weise die Unterstützung Delphis gegen die Söhne des Genannten verschafften. Was Herodot berichtet, ist merkwürdig: die Alkmäoniden, erzählt er uns, »wenn wir den Athenern Glauben schenken dürfen, brachten die Pythia durch Bestechung dazu, den Spartanern zu sagen – wann immer einer von ihnen das Orakel in eigenen oder in Staatsangelegenheiten um Rat zu fragen kam –, dass sie Athen befreien müssten (von der Tyrannei der Söhne des Pisistratus). So schickten die Lakedämonier, als sie immer nur diese Antwort erhielten, schließlich den Anchimolius, des Aster Sohn, an der Spitze eines Heeres gegen Athen mit dem Befehl, die Söhne des Pisistratus aus der Stadt zu vertreiben, obgleich sie mit diesen in engster Freundschaft verbunden waren. Denn sie hielten die himmlischen Dinge weiter als das Menschliche.« (5. Buch, Kapitel 63.)
    Obwohl Anchimolius geschlagen wurde, hatte eine spätere größere Expedition Erfolg, die Alkmäoniden und andere Verbannte kamen wieder an die Macht, und Athen erfreute sich wieder sogenannter »Freiheit«.
    In dieser Erzählung begegnen uns einige bemerkenswerte Züge. Herodot ist ein frommer, jedem Zynismus abgeneigter Mann, der die Spartaner wohlwollend beurteilt, weil sie dem Orakel gehorcht haben. Aber er zieht Athen Sparta vor, und in Athener Angelegenheiten ist er gegen die Söhne des Pisistratus eingestellt. Nichtsdestoweniger sind es die Athener, die er als Zeugen für die Bestechung nennt, und weder die erfolgreiche Partei noch die sündige Pythia wurden von der Strafe ereilt. Noch in den Tagen Herodots nahmen die Alkmäoniden

Weitere Kostenlose Bücher