Macht (German Edition)
wenig zu theatralisch empfunden und verfehlte seinen Eindruck selbst in dieser rhetorisch gesinnten Zeit. Hier haben wir nur einige wenige zufällig zusammengestellte Beispiele für die Achtung, die selbst die größten Erneuerer für die Macht der Überlieferung empfunden haben.
Die mächtigste und bedeutendste von allen priesterlichen Organisationen ist in der Geschichte die katholische Kirche gewesen. Ich befasse mich in diesem Kapitel mit der Macht der Priester nur insofern, als sie traditioneller Art ist; ich will daher im Moment nicht die frühe Periode untersuchen, als die Macht der Kirche revolutionär war. Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches war die Kirche in der günstigen Lage, zwei Traditionen zu vertreten: außer der christlichen war auch die römische in ihr beschlossen. Die Barbaren verfügten über die Macht des Schwertes, aber die Kirche stand in Zivilisation und Bildung auf höherer Stufe, sie vertrat eine beständige, unpersönliche Idee, sie konnte religiöse Hoffnung und abergläubische Furcht erwecken und sie war vor allem die einzige Organisation, die sich über ganz Westeuropa erstreckte. Die griechische Kirche, die sich mit den verhältnismäßig stabilen Reichen von Konstantinopel und Moskau auseinanderzusetzen hatte, geriet in völlige Abhängigkeit vom Staat; aber im Westen ging der Kampf mit wechselndem Erfolg bis zur Reformation weiter und ist in Deutschland, Mexiko und Spanien noch heute nicht beendet.
Sechs Jahrhunderte hindurch nach der Völkerwanderung war die westliche Kirche nicht imstande, mit den unruhigen und leidenschaftlichen germanischen Königen und Fürsten, die in England und Frankreich, in Norditalien und im christlichen Spanien herrschten, auszukommen. Dafür gab es verschiedene Gründe. Justinians Eroberungen in Italien hatten das Papsttum für eine gewisse Zeit zu einer byzantinischen Einrichtung gemacht und seinen Einfluss im Westen erheblich verringert. Der höhere Klerus kam mit wenigen Ausnahmen aus der feudalen Aristokratie, mit der man sich mehr verbunden fühlte als mit einem fernen und fremden Papst, dessen Einmischung mit Unwillen hingenommen wurde. Die niederen Geistlichen waren unwissend und meistens verheiratet mit dem Ergebnis, dass sie sich mehr darum sorgten, ihre Einkünfte ihren Nachkommen zu übermitteln als die Schlachten der Kirche zu schlagen. Reisen war eine so schwierige Sache, dass die römische Autorität in entfernten Königreichen nicht zur Geltung gebracht werden konnte. Die erste wirkliche Regierung über ein großes Gebiet war nicht die des Papstes, sondern jene Karls des Großen, den alle seine Zeitgenossen fraglos als den Vorgesetzten des Papstes betrachteten.
Nach dem Jahre 1000 kam es zu einem raschen Aufschwung der Zivilisation, nachdem man gesehen hatte, dass das erwartete Ende der Welt nicht gekommen war. Die Berührung mit den Mauren in Spanien und Sizilien förderte den Aufstieg der scholastischen Philosophie. Nachdem die Normannen für Jahrhunderte nur die Geißel des Piratentums gewesen waren, erwarben sie in Frankreich und in Sizilien alle Kenntnisse, die die damalige Welt zu bieten hatte, und wurden aus Vertretern der Unordnung zu Trägern der Ordnung und der Religion. Sie fanden außerdem die päpstliche Autorität nützlich für die Legitimierung ihrer Eroberungen. Durch sie wurde zum ersten Mal das kirchliche England vollständig unter die Herrschaft Roms gebracht. Inzwischen hatten sowohl der Kaiser wie der König von Frankreich die größten Schwierigkeiten, ihre Vasallen unter Aufsicht zu halten. Unter diesen Umständen begann mit der staatsmännischen Klugheit und mitleidlosen Energie Gregors VII. (Hildebrands) die Zunahme päpstlicher Macht, die die nächsten zwei Jahrhunderte hindurch anhalten sollte. Da diese Zeit das höchste Beispiel priesterlicher Macht bietet, will ich sie im einzelnen behandeln.
Die großen Tage des Papsttums, die mit dem Regierungsantritt Gregors VII. (1073) beginnen, erstrecken sich bis zur Einrichtung des päpstlichen Hofes in Avignon (1306) durch Clemens V. Die päpstlichen Siege wurden in diesem Zeitabschnitt vermittels sogenannter »geistiger« Waffen gewonnen, das heißt durch Aberglauben, nicht durch wirkliche Waffen. Während dieser ganzen Zeit waren die Päpste äußerlich auf Gnade und Ungnade dem vom unruhigen Stadtadel geführten römischen Pöbel ausgeliefert – denn, was auch der Rest der Christenheit immer denken mag, Rom hatte niemals irgendwelche Ehrfurcht vor
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