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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
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Intriganten, Spionen und Drahtziehern. In jeder großen Organisation, in der die Leute am Steuer über beträchtliche Gewalt verfügen, gibt es weniger hervorragende Männer (oder Frauen), die durch persönliche Mittel Einfluss auf die Führer gewinnen Drahtzieher und Parteibonzen gehören zur gleichen Art, obwohl ihre Technik eine andere ist. Sie schieben ruhig ihre Freunde in die Schlüsselstellungen und kontrollieren auf diese Weise mit der Zeit die Organisation. In einer nicht erblichen Diktatur können solche Leute hoffen, die Nachfolge des Diktators anzutreten, wenn er stirbt; aber gewöhnlich ziehen sie vor, nicht im Rampenlicht zu stehen. Es sind Menschen, die Macht mehr als Herrlichkeit lieben; oft sind sie, gesellschaftlich gesehen, schüchtern. Manchmal sind sie aus dem einen oder anderen Grunde von titularer Führerschaft ausgeschlossen, wie die Eunuchen in orientalischen Monarchien oder königliche Mätressen in anderen Ländern. Ihr Einfluss ist da am größten, wo die nominelle Macht erblich ist, und da am geringsten, wo die Macht die Belohnung für persönliches Können und Energie darstellt. Derartige Menschen haben unvermeidlich, selbst in den modernsten Regierungsformen, eine bedeutende Macht in Ämtern, die vom Durchschnittsmenschen für mysteriös angesehen werden. In unserer Zeit betreffen die wichtigsten dieser Ämter Währung und Außenpolitik In den Tagen Kaiser Wilhelms II. verfügte Baron Holstein (der ständige Chef des deutschen Außenministeriums) über immense Macht, obwohl er nicht in der Öffentlichkeit erschien. Wie groß die Macht der ständigen Beamten im britischen Außenministerium heutzutage ist, können wir überhaupt nicht wissen; die notwendigen Dokumente werden vielleicht unseren Kindern bekannt werden. Die für die Macht hinter den Kulissen erforderlichen Eigenschaften unterscheiden sich durchaus von allen übrigen Arten, und meistenteils, wenn auch nicht immer, handelt es sich dabei um unerwünschte Eigenschaften. Ein System, das dem Höfling oder dem Drahtzieher viel Macht einräumt, ist daher im allgemeinen kein System, das geeignet wäre, das Wohl des Volkes zu fördern.

VIERTES KAPITEL
PRIESTERLICHE MACHT
    I n diesem und im nächsten Kapitel habe ich vor, die beiden Formen traditioneller Macht zu untersuchen, die in vergangenen Zeiten die höchste Bedeutung besessen haben, nämlich die priesterliche und königliche Autorität. Beide stehen heute etwas im Schatten, und obgleich es übereilt wäre, zu behaupten, dass keine von beiden wieder aufleben wird, lässt es ihr ständiger oder vorübergehender Verfall zu, beide Einrichtungen so vollständig zu studieren, wie es für noch in Blüte befindliche Machtformen unmöglich wäre.
    Priester und Könige gibt es, wenn auch in unausgebildeter Form, in den primitivsten Gesellschaftsbildungen, die den Anthropologen bekannt sind. Manchmal vereint eine Person die Funktionen beider in sich. Das finden wir nicht nur unter Wilden, sondern in hochzivilisierten Staaten. Augustus war in Rom Pontifex Maximus und in den Provinzen ein Gott. Der Kalif war sowohl das Haupt der mohammedanischen Religion wie das des Staates. Der Mikado hatte lange eine ähnliche Stellung im Shintoismus. Könige neigten dazu, um ihrer Heiligkeit willen irdische Funktionen zu verlieren und sich zu Priestern zu entwickeln. Nichtsdestoweniger bestand in den meisten Epochen und Ländern eine klare und deutliche Scheidung zwischen Priester und König.
    Die primitivste Form des Priesters ist der Medizinmann, dessen Macht auf zwei Gebieten liegt – Anthropologen unterscheiden sie als religiöse und magische Macht. Religiöse Gewalt hängt vom Beistand
    übermenschlicher Wesen ab, während magische Kräfte für natürlich angesehen werden. Für unsere Zwecke jedoch ist diese Unterscheidung nicht wesentlich. Wichtig ist, dass der Medizinmann für fähig gehalten wird, anderen Gutes oder Böses zu tun, sei es durch Magie oder durch Religion, und dass nicht jedermann seine Fähigkeiten besitzt. Eine gewisse Magie, nimmt man an, kann von Laien ausgeübt werden, aber die Magie des Medizinmannes ist stärker. Wenn ein Mensch krank wird oder von einem Unfall betroffen wird, ist das gewöhnlich der bösartigen Magie eines Feindes zuzuschreiben, aber der Medizinmann kennt Mittel, durch die der böse Bann zu brechen ist. So nimmt auf der Duke-of-York-Insel der Medizinmann, wenn er durch Eingebung die Ursache der Krankheit seines Patienten entdeckt hat, ein Stück Kalkerde

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