Macht (German Edition)
ihrer Macht entkleidet.
Die natürliche Nachfolge der absoluten Monarchie tritt die Oligarchie an. Aber die Oligarchie kann sehr unterschiedlicher Natur sein; sie mag Herrschaft einer erblichen Aristokratie sein oder Herrschaft der Reichen, einer Kirche oder einer politischen Partei. Die sich daraus ergebenden Resultate sind sehr verschieden. Eine erbliche grundbesitzende Aristokratie ist leicht konservativ, hochmütig, dumm und ziemlich brutal; aus diesen Gründen – unter anderen –wird sie stets im Kampf mit dem Großbürgertum geschlagen. Eine Regierung der Reichen bestand in allen freien Städten des Mittelalters und dauerte in Venedig fort, bis Napoleon sie zum Erlöschen brachte. Solche Regierungen sind, alles in allem, aufgeklärter und beschlagener gewesen als irgendwelche anderen in der Geschichte bekannten. Besonders Venedig steuerte durch Jahrhunderte komplizierter Intrige einen klugen Kurs und besaß eine Diplomatie, die der jedes anderen Staates überlegen war. Durch Handel gewonnenes Geld wird durch eine Art Klugheit gewonnen, die nicht diktatorisch ist, und dieser Zug ist für Regierungen typisch, die aus erfolgreichen Handelsherren bestehen. Der moderne Industriemagnat ist ein völlig anderer Typus, teils, weil er in großem Maße mit der technischen Handhabung von Materialien zu tun hat, teils, weil seine Beziehungen zu Menschen sich vor allem auf eine Armee von Beschäftigten statt auf Gleichgestellte beschränken, auf Gleichgestellte, die überzeugt, nicht erpresst werden müssen.
Regierung, ausgeübt von einer Kirche oder einer politischen Partei – was man eine Theokratie nennen kann – ist die Form einer Oligarchie, die in den letzten Jahren eine neue Bedeutung gewonnen hat. Sie besaß eine ältere Form, die im Patrimonium der Peterskirche und in der Jesuitenherrschaft in Paraguay fortlebte, ihre moderne Form jedoch beginnt mit Calvins Regierung in Genf –von der kurzen Episode der Wiedertäufer in Münster abgesehen. Noch moderner war die Herrschaft der Heiligen, die in England mit der Restauration endete, in Neuengland aber noch eine längere Zeit fortlebte. Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert hätte man diesen Regierungstypus für gänzlich erloschen halten können. Er wurde jedoch von Lenin wiederbelebt, in Italien und Deutschland angenommen und seine Errichtung in China ernsthaft unternommen.
In einem Land wie Russland oder China, wo die große Masse der Bevölkerung analphabetisch und ohne politische Erfahrung war, befand sich der erfolgreiche Revolutionär in einer sehr schwierigen Lage. Demokratie nach westlichem Vorbild konnte keinen Erfolg haben; man versuchte, sie in China einzuführen, aber es war von Anfang an ein Fiasko. Andererseits hatten die revolutionären Parteien in Russland nur hochmütige Abneigung gegenüber der landbesitzenden Aristokratie und den Reichen des Bürgertums; keines der Ziele, die sie im Auge hatten, konnte mit einer aus diesen Klassen gewählten Oligarchie erreicht werden. Sie sagten dementsprechend: »Wir, die Partei, die die Revolution gemacht hat, werden die politische Macht so lange behalten, bis das Land für die Demokratie reif ist; und inzwischen werden wir das Land unseren Grundsätzen gemäß erziehen.«
Das Ergebnis fiel immerhin nicht ganz so aus, wie die alten Bolschewiki erhofft hatten. Unter dem Druck von Bürgerkrieg, Hunger und bäuerlicher Unzufriedenheit wurde die Diktatur allmählich härter, während der Kampf innerhalb der Kommunistischen Partei nach Lenins Tod sie allmählich aus einer Parteiregierung in EinMann-Herrschaft verwandelte. All das war nicht schwer vorauszusehen. Im Jahre 1920 schrieb ich: »Die bolschewistische Theorie behauptet, dass früher oder später jedes Land durchmachen wird, was Russland gegenwärtig durchmacht. Und in jedem Land in ähnlicher Lage dürfen wir erwarten, dass die Herrschaft skrupellosen Männern in die Hände fällt, die von Natur aus keine Freiheitsliebe besitzen und wenig Eile haben, die Diktatur in Freiheit umzuwandeln ... Ist es nicht beinahe unvermeidlich, dass Männer in der Lage der Bolschewiki in Russland ... nicht willens sein werden, ihr Machtonopol zu lockern, und Gründe finden werden, es zu behalten, bis eine neue Revolution sie aus ihren Stellungen wirft?« Aus diesen Gründen kann man schwerlich eine Theokratie als einen Schritt in Richtung der Demokratie betrachten, obwohl sie in anderer Beziehung ihre Verdienste haben mag.
Die Verdienste von Theokratien sind
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