Macht (German Edition)
Monarchie, der ältesten, einfachsten und verbreitetsten Verfassung in der Geschichte, zu beginnen. Ich unterscheide jetzt nicht zwischen dem König und dem Tyrannen; ich untersuche einfach die EinMann-Herrschaft, ob es sich nun um einen erblichen König oder um einen Usurpator handelt. Diese Regierungsform hat in Asien zu allen Zeiten vorgeherrscht, seit dem Beginn der babylonischen Geschichte über die persische Monarchie, die mazedonische und römische Herrschaft und das Kalifat bis zu den Tagen des Großmoguls. Zwar war in China der Kaiser kein absoluter Herrscher, außer während der Regierung des Schu Huang Ti (3. Jahrhundert vor Christi Geburt), der die Bücher verbrannte; zu anderen Zeiten konnten die Gelehrten ihn in der Regel schlagen. Aber China war immer eine Ausnahme gewesen. Obwohl man die absolute Monarchie auf dem Abstieg glaubt, gab es in unserer Zeit etwas sehr Ähnliches in Deutschland, Italien, Russland, in der Türkei und in Japan. Offenbar finden die Menschen diese Regierungsform natürlich.
Vom Psychologischen aus gesehen liegen ihre Verdienste auf der Hand. Im Allgemeinen führt der Herrscher einen Stamm oder eine Sekte zur Eroberung, und seine Gefolgsleute fühlen sich als Teilhaber seines Ruhmes. Cyrus führte die Perser zur Empörung gegen die Meder; Alexander gab seinen Mazedoniern Macht und Reichtum; Napoleon brachte den Armeen der Revolution den Sieg. Die Beziehungen Lenins und Hitlers zu ihren Parteien waren von der gleichen Art. Der Stamm oder die Sekte unter einem Eroberer folgt ihm willig und fühlt sich durch seine Erfolge erhoben; die Unterworfenen empfinden mit Bewunderung gemischte Furcht. Keine politische Übung, keine Gewohnheit im Kompromiss ist erforderlich; die einzige instinktive gesellschaftliche Kohäsion, die notwendig ist, ist der Zusammenhalt in einer kleinen inneren Gruppe von Anhängern, was durch die Tatsache erleichtert wird, dass alle von den Erfolgen des Helden abhängig sind. Wenn er stirbt, kann sein Werk in Stücke zerfallen, wie das Alexanders; aber mit etwas Glück kann ein fähiger Nachfolger es fortsetzen, bis die neue Macht traditionell geworden ist.
Die Schwierigkeit jeder anderen Beziehung zwischen den Menschen – nämlich als sie in eine Gemeinschaft zusammenschließendes Band – außerhalb der von Befehlen und Gehorchen kann am Verhältnis der Staaten zueinander deutlich gemacht werden. Es gibt unzählige Beispiele für kleine Staaten, die durch Eroberung in große Reiche hineinwachsen, aber kaum eines für freiwilligen Beitritt. Für Griechenland in der Zeit Philipps und Italien in der Renaissance war eine gewisse Zusammenarbeit zwischen verschiedenen souveränen Staaten eine Frage von Leben und Tod, und doch kam sie nicht zustande. Das gleiche gilt heutzutage von Europa. Es ist nicht leicht, Menschen, die ans Befehlen oder auch nur an Unabhängigkeit gewöhnt sind, dazu zu bringen, sich freiwillig einer äußeren Autorität unterzuordnen. Wenn das vorkommt, dann in der Regel etwa bei einer Bande von Seeräubern, nämlich da, wo eine kleine Gruppe großen Gewinn auf Kosten der Allgemeinheit erhofft und solches Zutrauen zu ihrem Führer hat, dass sie bereit ist, die Leitung des Unternehmens in seine Hände zu legen. Nur in einer derartigen Situation können wir von einer Regierung sprechen, die aus einem »Gesellschaftsvertrag« hervorgeht, und in diesem Fall handelt es sich eher um Hobbes' als um Rousseaus Vertrag, das heißt, es ist ein Vertrag, den die Bürger (oder Seeräuber) untereinander abschließen, nicht ein Vertrag zwischen ihnen und ihrem Führer. Der psychologisch wichtige Punkt ist der, dass Menschen nur bereit sind, einem solchen Vertrag zuzustimmen, wenn er große Möglichkeiten für Raub oder Eroberung bietet. Es ist dieser psychologische Mechanismus, obwohl er in der Regel nicht offen zutage liegt, der nicht-absoluten Königen gestattete, durch kriegerische Erfolge ungefähr absolut zu werden.
Die aus diesen Erwägungen hergeleitete Schlussfolgerung lautet, dass, während eine Art freiwilliger Zustimmung zur willkürlichen Macht eines Monarchen von einer Gruppe naher Gefährten aus vorhanden sein muss, die Mehrheit seiner Untertanen sich gewöhnlich zunächst aus Furcht, später als Ergebnis von Brauch und Tradition unterwirft. Der »Gesellschaftsvertrag« im einzigen nicht völlig mythischen Sinne ist ein Vertrag unter Eroberern, der seine Daseinsberechtigung verliert, wenn die Eroberer der Vorteile der Eroberung verlustig
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