Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
der gesetzte Rahmen verändert, die Hoheit über das eigene Handeln verlorengeht und der Einschnitt unausweichlich ist. Er kommt laut und brachial daher, mit einem Ereignis, das keine Wahl lässt und alles auf einen Schlag verändert. Manchmal ist er von außen längst unübersehbar, während der Betroffene noch versucht, Konstrukte zu bauen und Tatbestände zu leugnen. Selbst dann, wenn ein Sachverhalt faktisch unausweichlich ist, wie das berühm- te Beispiel eines deutschen Bundeskanzlers am Wahlabend zeigt.
Die Realisierung eines notwendigen Schlusspunktes und die Art und Weise, wie man diese Einsicht umsetzt, sind maßgebliche Faktoren für den Verlauf der weiteren Karriere und die Beurteilung von außen. Die Dramaturgie und der Zeitpunkt des Endes entscheiden darüber, an welcher Stelle der Biographie die Bilanzierung erfolgt. Margot Käßmanns idealisierter Rücktritt hat ihre Karriere zunächst unterbrochen, ihre Person jedoch weit über die Funktion erhoben und in neue Bedeutungssphären gehievt.
Die ehemalige Bischöfin ist eines dieser Beispiele ehrenhaft Zurückgetretener, die zur rechten Zeit Verantwortung übernommen und mit der Konsequenz des Schrittes unterstrichen haben. Wenn die Verantwortung für das eigene Handeln oder eine Entwicklung, die man repräsentiert, nicht mit dem Eingeständnis von tatsächlicher Verantwortlichkeit einhergeht, bleibt der Abschied umso schmerzhafter. Der durch öffentlichen Druck oder internes Drängen erzwungene Rücktritt macht das erbrachte Opfer zum treuen Wegbegleiter des Veränderungsprozesses. Ein selbstgewähltes, wenn auch nicht von inhaltlicher Überzeugung getragenes Ende lässt hingegen oft den Spielraum der aktiven Gestaltung und damit den Schutz der eigenen Integrität.
Doch auch wenn das Ansehen in diesen Fällen häufig sogar wächst, vermag es allzu oft nicht das Konto der inhaltlichen Leere zu füllen.
Immer bleibt es schwer, den richtigen Zeitpunkt für den eigenen Bühnenabgang zu finden. Vielleicht weil es zum richtigen Zeitpunkt keinen Grund gibt zu gehen. Weil der richtige Zeitpunkt sich, wenn überhaupt, erst im Rückblick definieren lässt.
Es gibt viele Klischees rund um das Thema Macht, Sendungsbewusstsein und das Streben nach Reichtum und Status. Viele davon habe ich bestätigt gefunden, auch weil Klischees nun mal keine Fiktion sind, sondern genährt werden von frappierenden Anhäufungen realer Verhaltensmuster. Trotzdem hat jeder Mensch seine eigene, ganz persönliche Geschichte, jenseits klischeehafter Zuschreibungen, die eine differenziertere Betrachtung verdient.
Diejenigen, deren Lebenskurven ich auf den folgenden Seiten begleite, sind auf ihrem Erfolgsweg an eine Gabelung geraten. Ich habe versucht, sie in ihrer Funktion, aber vor allem als Individuen zu sehen, unabhängig davon, in welcher Rolle sie mir begegnet sind. Es ist mir kein Anliegen zu bewerten, mein Interesse gilt derjenigen Wahrheit, die meine Gesprächspartner mich in einem kleinen Lebensausschnitt haben sehen lassen.
Keiner von ihnen hat sich selbst als mächtig oder machtorientiert gesehen oder beschrieben. Ohne Koketterie, sondern vielmehr in arrivierter Noblesse vermeiden allesamt das Bekenntnis zur Macht oder zum Machtanspruch, als sei es ein vergifteter Orden. Vielmehr scheint es eine Tugend, die eigene Exponiertheit lediglich am Entscheidungs- und Gestaltungsraum zu messen.
Macht hat viele Assoziationen, Synonyme und ebenso viele Erscheinungsformen: Die Macht der Tänzerin ist der Bann, in den sie das Publikum allabendlich zu ziehen vermag; die des Politikers der Auftrag seiner Wähler zur Gesellschaftsgestaltung; die des Chefredakteurs die Legitimation zur Deutungshoheit; die des Wirtschaftsvertreters die unternehmerische Entscheidungsgewalt; die des Sportlers die Fähigkeit, Anhänger zu versammeln und Massen zu bewegen.
Die Zuschreibung von außen jedoch kennt keine Schnörkel und Interpretationsformen. Macht ist eindeutig.
Die Erkenntnis
»Die Ära Hoffmann/Kraus ist beendet!«
Hamburger Abendblatt
Der Moment, in dem eine fehlende Tube Zahnpasta eine besondere Bedeutung in meinem Leben bekam, war ein kalter, spätwinterlicher Märzabend. Am Tag vorher erreichte mich die nach monatelangem Zerren erwartete Nachricht, dass mein auslaufender Vertrag nicht verlängert werden sollte. Der Aufsichtsrat hatte sich nach einer endlosen Sitzungsreihe auf eine endgültige Abstimmung geeinigt und dabei ein Votum erzielt, das mehrheitlich zu meinen Gunsten ausfiel,
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