Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Hoheit über die eigene Leistung.
Sven Hannawald hat immer versucht, den perfekten Sprung zu springen. Als Kind hat er geweint, wenn ihm nicht der weiteste Satz gelungen ist. Heute zeigt er seinem Manager stolz ein Foto von einem Fußballspiel, bei dem er gerade drei Tore geschossen hat. Sein Verein spielt in der Kreisliga, die lokale Zeitung berichtete darüber. Fußball ist sein Hobby. Sein Beruf ist es jetzt, Autorennen zu fahren. Wenn er verliert, weint er nicht mehr. Dazu gewinnt er zu selten. Aber er hat wieder einen Inhalt, der ihm hilft, mit der Vergangenheit abzuschließen. Nach seinem letzten Sprung versuchte er als TV-Kommentator eine neue Rolle in seiner vertrauten Welt zu finden. Das hat nicht funktioniert. Weil er nicht funktionierte. Als Beobachter am Rande der eigenen Leidenschaft zu stehen, in Sichtweite der selbstgewählten Leerstelle, das hat er nicht ausgehalten.
Erst seit er im Motorsport eine neue Aufgabe fand, traut er sich wieder an die Schanze. Seit er eine Vorstellung davon hat, sein Auto auf eine ähnliche Weise zu beherrschen, wie es ihm mit seinem Sprungski von klein auf selbstverständlich war, empfindet er wieder Sinn und Lebensfreude. Vielleicht sogar eine ganz neue Form der Lebensfreude, eine, die ihn befreit vom Druck der eigenen Verantwortlichkeit. Und er hat jetzt verstanden, was seine Faszination ist: Das Adrenalin, das seinen Körper auf eine einzigartige Weise ausfüllt, ihn eins mit dem umkämpften Partner sein lässt, das spürt er auf der Rennstrecke auf eine Weise, wie er es bis dahin nur auf der Schanze zu spüren vermochte.
Sein Perfektionismus hat Sven Hannawald zum besten deutschen Skispringer aller Zeiten werden lassen. Der Preis war seine Gesundheit. Zu seiner Burnout- Erkrankung hat er sich öffentlich bekannt, weil er »keine Schwäche darin sieht, dazu zu stehen, dass ein glamouröses Leben auch seine Schattenseiten hat«. Aber er mag nicht darauf reduziert sein, in der Nachbetrachtung seiner Karriere zur Symbolfigur der Salonfähigkeit psychischer Erkrankungen gemacht zu werden.
Die Bereitschaft, für den Erfolg einen Preis zu zahlen, der über das natürliche Quantum dessen, was das Leben an jedem Tag an Handel verlangt, hinausgeht, ist vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner der Erfolgreichen.
In einer Zeit, in der nur noch die Wenigsten in ein Amt hineingeboren werden, liegt selbst den aufsehenerregenden Karrieren meist kein klarer Plan zugrunde. Kaum einer meiner Gesprächspartner hat seinen unvermeidlichen Erfolg schon im Kindesalter verkündet. Sie wollten einfach ihre Traumrolle tanzen, eine Idee verwirklichen oder gleich die ganze Welt verändern und waren dafür bereit, geschundene Körper, ermüdende »Wahlkampf-Tingeltouren«, den Verlust der Privatheit, Bindungslosigkeit und auch das Scheitern in Kauf zu nehmen. Das Bewusstsein, Grenzen zu überschreiten, tritt dabei fraglos hinter den eigenen Anspruch zurück und bleibt oft lange, manchmal ganz und gar unbemerkt. Doch wird der Preis gezahlt für das Versprechen auf ein Ziel, eine Beförderung, eine Medaille, einen Wahlsieg? Oder auf die Erfüllung des Versprechens? In welchen Momenten findet die Belohnung statt?
Bei seinem Lauf zur Eckfahne, nachdem der Ball im Tor zappelte, habe er für vier oder fünf Sekunden uneingeschränktes Glück empfunden, schildert der ehemalige Fußball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger ergriffen seine ganz persönliche Belohnung. Die Szene, die er als kleiner Junge nächtelang geträumt, auf der Straße im verschwitzten Nickipulli tausendfach vorgespielt hatte. Das entscheidende Tor im entscheidenden Spiel. Der Treffer, der den VfB Stuttgart 2007 am letzten Spieltag der Bundesligasaison zum Deutschen Meister machte. Eine tollkühne Bolzplatzphantasie und deren spektakuläre Verwirklichung.
Er schaut sich die Aufnahmen heute noch manchmal an. Die vom Tor, dem Jubel und den Momenten danach. Doch das Gefühl kommt nicht zurück. Das bedauert er. Aber er erinnert sich daran, dass er diesen Tag als Belohnung empfunden hat. Dass alles Erfüllung fand, in einem beherzten Schuss auf das Cottbusser Tor. Alles, was er vermeintlich geopfert hat, in seiner Jugend als angehender Fußballprofi. Partys mit Klassenkameraden, sommerlange Interrailreisen, Schulhofturteleien und exzellente Mathenoten. Vermisst hat er all das damals nicht. Er wollte einfach Fußball spielen, besser als andere und besser auch als er selbst.
Lange war der Perfektionismus sein Freund. Sein innerer
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