Machtrausch
musste Nagelschneider nicht mehr lange überlegen. Er hatte Blut gerochen.
»Ich werde morgen in meiner Eigenschaft als Finanzvorstand kurzfristig um eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung bitten, auf der ich dann mit Hilfe Ihres Materials …«, er sah beinahe zärtlich zu Glocks Aktenmappe hinüber, »… ein paar zukunftsweisende Beschlüsse herbeiführen werde .«
»Wunderbar. Sagen Sie den Leuten, dass die Sache etwas eilt. Wenn ich in drei Tagen kein Signal an einen gewissen Rechtsanwalt gegeben habe, geht das gesamte Material an die Presse. Das können Sie durchaus so zitieren, denn es ist meine Lebensversicherung .« Diese letzten Sätze sprach Dr. Anton Glock sehr eindringlich, so dass Nagelschneider hinzufügte:
»Bevor ich morgen meinen Wunsch einer außerordentlichen Aufsichtsratsitzung schriftlich und formell an den gesamten Aufsichtsrat verschicke, werde ich noch heute Abend vorab alle Mitglieder telefonisch über die beabsichtigte Sondersitzung und die hohe Dringlichkeit informieren. Überlassen wir nichts dem Zufall !« Beide standen auf und Nagelschneider, der Glock plötzlich als Stratege auf gleicher Augenhöhe kennen gelernt hatte, klopfte seinem Ex-Strategiechef anerkennend auf die Schulter.
»Eines noch: Ich würde mich freuen, wenn Sie nach der Beseitigung des Paktes unverzüglich wieder in ihr gerade erst angetretenes Amt zurückkehren und die Strategieabteilung und die AfU leiten würden. Die Idee des guten von Weizenbeck, Sie in dieser Funktion direkt an den Vorstandschef berichten zu lassen und nicht an den Finanzchef, ist vielleicht gar nicht einmal so schlecht. Ich denke, das sollten wir beibehalten …« Es war klar, was er damit andeuten wollte. Mit der Entfernung Kroupas aus dem Vorstand würde sich Nagelschneider nicht begnügen.
»Lassen Sie uns darüber sprechen, sobald wir wissen, wie Schuegraf nach der Aufräumaktion aussehen wird. Ich bin neuerdings recht wählerisch, wenn es um meinen Arbeitgeber geht .« Zumindest auf diese Antwort wäre seine Frau ein wenig stolz gewesen. Die Tür bereits in der Hand, griff Nagelschneider in die linke Sakkotasche und holte ein vierfach zusammengefaltetes Blatt Papier heraus.
»Kann es sein, dass Sie in Ihrer Geschichte eine Kleinigkeit ausgelassen haben, Glock ?« So musste es sich anfühlen, wenn einem der Teppich unter den Füßen weggezogen wurde. Jetzt flog Renate auf. Er murmelte:
»Vielleicht habe ich irgendein unwesentliches Detail vergessen …« Ohne Worte reichte ihm der CFO das Papier und schloss die Haustür hinter Anton. Dieser nahm das Blatt und zwang sich, langsam bis zum Saab zu gehen. Er ließ sich auf den Fahrersitz fallen und entfaltete die Seite. Es war sein anonymes Schreiben an die Polizei. Im ersten Moment verspürte er unendliche Erleichterung, dass es nicht um Renate ging. Doch dann wurde ihm bewusst, was dieses Papier (es war das Original, keine Kopie!) in Nagelschneiders Händen besagte: Wenn der Schuegraf-Konzern etwas unter dem Teppich halten wollte, dann verfügte er über die nötigen Mittel, den Gang der Dinge bis hinein in den Staatsapparat in seinem Sinne zu beeinflussen. Was, wenn der Finanzvorstand auf der falschen, der anderen Seite gestanden wäre?
17
Anton Glock zog sich die nächsten Tage mit seiner Frau in eine kleine Familienpension im Chiemgau zurück. Sie hatten einen schönen Blick auf den zu dieser Zeit oft aufgewühlten See. Jeden Tag wanderten sie durch die beruhigende Landschaft des Voralpenlandes. Das Wetter konnte sich nicht recht entscheiden, ob es schon winterlich oder noch herbstlich sein wollte. Morgens fuhr Glock in den nächstgelegenen Ort, Prien am Chiemsee, und kaufte alle verfügbaren Zeitungen auf: Süddeutsche Zeitung, FAZ, Financial Times Deutschland. In letzterer, ohnehin Glocks absolute Lieblingszeitung, wurde ausführlich über die jüngsten Entwicklungen in der Schuegraf AG berichtet. Die Dinge kamen bereits einen Tag nach dem trauten Kamingespräch zwischen Nagelschneider und Anton ins Rollen. Auf Betreiben des Finanzvorstands hatte die Sondersitzung des Aufsichtsrates bereits in den Abendstunden des folgenden Tages stattgefunden. Nagelschneider schien die Dringlichkeit gut vermittelt zu haben. Am nächsten Tag um dreizehn Uhr fand eine eilig einberufene Pressekonferenz der Schuegraf AG statt, in der der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende, der alte Schuegraf selbst, über einige personelle Veränderungen informierte.
Die englischen Vertreter im
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