Madame Bovary
Vampir, die Sirene, die Teufelin, die im Hexenreiche
der Liebe ihr Wesen treibt. Sie wandte sich brieflich an Leos Chef,
den Justizrat Dübocage, dem die Geschichte längst schon zu Ohren
gekommen war. Er nahm Leo dreiviertel Stunden lang ordentlich ins
Gebet, öffnete ihm die Augen, wie er sich ausdrückte, und zeigte
ihm den Abgrund, dem er zusteuere. Wenn es zum öffentlichen Skandal
käme, sei seine weitere Karriere gefährdet! Er bat ihn dringend,
das Verhältnis abzubrechen, wenn nicht im eignen Interesse, so doch
in seinem, des Notars.
Leo gab zu guter Letzt sein Ehrenwort, Emma nicht wiederzusehen.
Er hielt es nicht. Aber sehr bald bereute er diesen Wortbruch,
indem er sich klar ward, in welche Mißhelligkeiten und in was für
Gerede ihn diese Frau noch bringen konnte, ganz abgesehen von den
Anzüglichkeiten, die seine Kollegen allmorgendlich losließen, wenn sie sich am Kamine wärmten. Er sollte
demnächst in die erste Adjunktenstelle rücken. Es ward also Zeit,
ein gesetzter Mensch zu werden. Aus diesem Grunde gab er auch das
Flötespielen auf. Die Tage der Schwärmereien und Phantastereien
waren für ihn vorüber! Jeder Philister hat in seiner Jugend seinen
Sturm und Drang, und wenn der auch nur einen Tag, nur eine Stunde
währt. Einmal ist jeder der ungeheuerlichsten Leidenschaft und
himmelstürmender Pläne fähig. Den spießerlichsten Mann gelüstet es
einmal nach einer großen Kurtisane, und selbst im nüchternen
Juristen hat sich irgendwann einmal der Dichter geregt.
Es verstimmte Leo jetzt, wenn Emma ohne besondre Veranlassung an
seiner Brust schluchzte. Und wie es Leute gibt, die Musik nur in
gewissen Grenzen vertragen, so hatte er für die
Überschwenglichkeiten ihrer Liebe kein Gefühl mehr. Die wilde
Schönheit dieser Herzensstürme begriff er nicht.
Sie kannten einander zu gut, als daß der gegenseitige Besitz sie
noch zu berauschen vermochte. Ihre Liebe hatte die
Entwicklungsfähigkeit verloren. Sie waren beide einander
überdrüssig, und Emma fand im Ehebruche alle Banalitäten der Ehe
wieder.
Wie sollte sie sich aber Leos entledigen? So verächtlich ihr die
Verflachung ihres Glückes auch vorkam: aus Gewohnheit oder
Verderbtheit klammerte sie sich doch daran. Der Sinnengenuß ward
ihr immer unentbehrlicher, so sehr sie sich auch nach höheren
Wonnen sehnte. Sie warf Leo vor, er habe sie genarrt und betrogen.
Sie wünschte sich eine Katastrophe herbei, die ihre Entzweiung zur
Folge hätte, weil sie nicht den Mut hatte, sich aus freien Stücken
von ihm zu trennen.
Sie hörte nicht auf, ihn mit verliebten Briefen zu überschütten.
Ihrer Meinung nach war es die Pflicht einer Frau, ihrem Geliebten
alle Tage zu schreiben. Aber beim Schreiben stand vor ihrer Phantasie ein ganz anderer Mann: nicht Leo,
sondern ein Traumgebilde, die Ausgeburt ihrer zärtlichsten
Erinnerungen, eine Reminiszenz an die herrlichsten Romanhelden, das
leibhaft gewordne Idol ihrer heißesten Gelüste. Allmählich ward ihr
dieser imaginäre Liebling so vertraut, als ob er wirklich
existiere, und sie empfand die seltsamsten Schauer, wenn sie sich
in ihn versenkte, obgleich sie eigentlich gar keine bestimmte Idee
von ihm hatte. Er war ihr ein Gott, in der Fülle seiner
Eigenschaffen unsichtbar. Er wohnte irgendwo hinter den Bergen, in
einer Heimat romantischer Abenteuer, unter Rosendüften und
Mondenschein. Sie fühlte, er war ihr nahe. Er umarmte und küßte
sie….
Nach solchen Traumzuständen war sie kraftlos und gebrochen. Die
Raserei dieses Liebeswahnes erschlaffte sie mehr als die wildeste
Ausschweifung.
Mehr und mehr verfiel sie in dauernde Mattheit. Gerichtliche
Zustellungen und Vorladungen kamen. Es war ihr unmöglich, sie zu
lesen. Leben war ihr eine Last. Am liebsten hätte sie immerdar
geschlafen.
Am Fastnachtsabend kam sie nicht nach Yonville zurück. Sie nahm
am Maskenballe teil. In seidnen Kniehosen und roten Strümpfen, eine
Rokokoperücke auf dem Kopfe und einen Dreimaster auf dem linken
Ohr, tollte und tanzte sie durch die laute Nacht. Es bildete sich
eine Art Gefolge um sie, und gegen Morgen stand sie unter der
Vorhalle des Theaters, umringt von einem halben Dutzend Masken,
Bekannten von Leo: Matrosen und Fischerinnen. Man wollte irgendwo
soupieren. Die Restaurants in der Nähe waren alle überfüllt.
Schließlich entdeckte man einen bescheidenen Gasthof, in dem sie im
vierten Stock ein kleines Zimmer bekamen.
Die männlichen Masken tuschelten in einer Ecke;
wahrscheinlich einigten sie sich
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