Madame Bovary
wieder mit dem
höchsten Eifer für neue Straßenbauten im Bezirk ein. Während des
letzten Hochsommers hatte er ein Geschwür im Munde bekommen, von
dem ihn Karl wunderbar schnell durch einen einzigen Einstich
befreit hatte. Der Privatsekretär des Marquis war bald darauf nach
Tostes gekommen, um das Honorar für die Operation zu bezahlen, und
hatte abends nach seiner Rückkehr erzählt, daß er in dem kleinen
Garten des Arztes herrliche Kirschen gesehen habe. Nun gediehen
gerade die Kirschbäume in Vaubyessard schlecht. Der Marquis erbat
sich von Bovary einige Ableger und hielt es daraufhin für seine
Pflicht, sich persönlich zu bedanken. Bei dieser Gelegenheit sah er
Emma, fand ihre Figur entzückend und die Art, wie sie ihn empfing,
durchaus nicht bäuerisch. Und so kam man im Schlosse zu der
Ansicht, es sei weder allzu entgegenkommend noch unangebracht, wenn
man das junge Ehepaar einmal einlüde.
An einem Mittwoch um drei Uhr bestiegen Herr und Frau Bovary
ihren Dogcart und fuhren nach Vaubyessard. Hinterrücks war ein
großer Koffer angeschnallt und vorn auf dem Schutzleder lag eine
Hutschachtel. Außerdem hatte Karl noch einen Pappkarton zwischen
den Beinen.
Bei Anbruch der Nacht, gerade als man im Schloßpark die Laternen
am Einfahrtswege anzündete, kamen sie an.
Kapitel 8
Vor dem Schloß, einem modernen Baue im Renaissancestil mit zwei
vorspringenden Flügeln und drei Freitreppen, dehnte sich eine
ungeheure Rasenfläche mit vereinzelten Baumgruppen, zwischen denen
etliche Kühe weideten. Ein Kiesweg lief in Windungen hindurch,
beschattet von allerlei Gebüsch in verschiedenem Grün,
Rhododendren, Flieder- und Schneeballsträuchern. Unter einer Brücke
floß ein Bach. Weiter weg, verschwommen im Abendnebel, erkannte man
ein paar Häuser mit Strohdächern. Die große Wiese ward durch
längliche kleine Hügel begrenzt, die bewaldet waren. Versteckt
hinter diesem Gehölz lagen in zwei gleichlaufenden Reihen die
Wirtfchaftsgebäude und Wagenschuppen, die noch vom ehemaligen
Schloßbau herrührten.
Karls Wäglein hielt vor der mittleren Freitreppe. Dienerschaft
erschien. Der Marquis kam entgegen, bot der Arztfrau den Arm und
geleitete sie in die hohe, mit Marmorfliesen belegte Vorhalle.
Geräusch von Tritten und Stimmen hallte darin wider wie in einer
Kirche. Dem Eingange gegenüber stieg geradeaus eine breite Treppe
auf. Zur Linken begann eine Galerie, mit Fenstern nach dem Garten
hinaus, die zum Billardzimmer führte; schon von weitem vernahm man
das Karambolieren der elfenbeinernen Bälle. Durch das Billardzimmer
kam man in den Empfangssaal. Beim Hindurchgehen sah Emma Herren in
würdevoller Haltung beim Spiel, das Kinn vergraben in den
Krawatten, alle mit Ordensbändchen. Schweigsam lächelnd handhabten
sie die Queues.
Auf dem düsteren Holzgetäfel der Wände hingen große Bilder in
schweren vergoldeten Rahmen mit schwarzen Inschriften. Eine
lautete:
Hans Anton von Andervilliers zu Yverbonville,
Graf von Vaubyessard und Edler Herr auf Fresnaye,
gefallen in der Schlacht von Coutras
am 20. Oktober 1587.
Eine andre:
Hans Anton Heinrich Guy, Graf von Andervilliers und Vaubyessard,
Admiral von Frankreich, Ritter des Sankt-Michel-Ordens, verwundet
bei Saint Vaast de la Hougue am 29. Mai 1692, gestorben zu
Vaubyessard am 23. Januar 1693
Die übrigen vermochte man kaum zu erkennen, weil sich das Licht
der Lampen auf das grüne Tuch des Billards konzenrierte und das
Zimmer im Dunkeln ließ. Nur ein schwacher Schein hellte die
Gemäldeflächen auf, deren sprüngiger Firnis mit diesem feinen
Schimmer spielte. Und so traten aus allen den großen schwarzen
goldumflossenen Vierecken Partien der Malerei deutlicher und heller
hervor, hier eine blasse Stirn, da zwei starre Augen, dort eine
gepuderte Allongeperücke über der Schulter eines roten Rockes und
anderswo die Schnalle eines Kniebandes über einer strammen
Wade.
Der Marquis öffnete die Tür zum Salon. Eine der Damen – es war
die Schloßherrin selbst – erhob sich, ging Emma entgegen und bot
ihr einen Sitz neben sich an, auf einem Sofa, und begann
freundschaftlich mit ihr zu plaudern, ganz als ob sie eine alte
Bekannte vor sich hätte. Die Marquise war etwa
Vierzigerin; sie hatte hübsche Schultern,
eine Adlernase und eine etwas schleppende Art zu sprechen. An
diesem Abend trug sie über ihrem kastanienbraunen Haar ein
einfaches Spitzentuch, das ihr dreieckig in den Nacken herabhing.
Neben ihr, auf einem hochlehnigen Stuhle, saß eine junge
Weitere Kostenlose Bücher