Madame Bovary
Bovary in schöngestickten Hausschuhen vor
der Haustüre stehen.
Er kam spät heim, um zehn Uhr, zuweilen um Mitternacht. Dann aß
er noch zu Abend, und da das Dienstmädchen bereits Schlafen
gegangen war, bediente ihn Emma selber. Er pflegte seinen Rock
auszuziehen und sichs zum Essen bequem zu machen. Kauend zählte er
gewissenhaft alle Menschen auf, denen er tagsüber begegnet war,
nannte die Ortschaften, durch die er geritten, und wiederholte die
Rezepte, die er verschrieben hatte. Zufrieden mit sich selbst,
verzehrte er sein Gulasch bis auf den letzten Rest, schabte sich
den Käse sauber, schmauste einen Apfel und trank die Weinkaraffe
leer, worauf er zu Bett ging, sich aufs Ohr legte und zu schnarchen
begann. Wenn er frühmorgens aufmachte, hing ihm das Haar wirr über
die Stirn.
Er trug stets derbe hohe Stiefel, die in der Knöchelgegend zwei
Falten hatten; in den Schäften waren sie steif und geradlinig,
als ob ein Holzbein drinnen stäke. Er
pflegte zu sagen: »Die sind hier auf dem Lande gut genug!«
Seine Mutter bestärkte ihn in seiner Sparsamkeit. Wie vordem kam
sie zu Besuch, wenn es bei ihr zu Hause kleine Mißlichkeiten
gegeben hatte. Allerdings hegte die alte Frau Bovary gegen ihre
Schwiegertochter sichtlich ein Vorurteil. Sie war ihr »für ihre
Verhältnisse ein bißchen zu großartig.« Mit Holz, Licht und
dergleichen werde »wie in einem herrschaftlichen Hause gewüstet.«
Und mit den Kohlen, die in der Küche verbraucht würden, könne man
zwei Dutzend Gänge kochen! Sie ordnete ihr den Wäscheschrank und
hielt Vorträge, wie man dem Fleischer auf die Finger zu sehen habe,
wenn er das Fleisch brachte. Emma nahm diese guten Lehren hin, aber
die Schwiegermutter erteilte sie immer wieder von neuem. Die von
beiden Seiten in einem fort gewechselten Anreden »Liebe Tochter«
und »Liebe Mutter!« standen in Widerspruch zu den Mienen der
Sprecherinnen. Beide Frauen sagten sich Artigkeiten mit vor Groll
zitternder Stimme.
Zu Lebzeiten von Frau Heloise hatte sich die alte Dame nicht in
den Hintergrund gedrängt gefühlt, jetzt aber kam ihr Karls Liebe zu
Emma wie ein Abfall vor von ihr und ihrer Mutterliebe, wie ein
Einbruch in ihr Eigentum. Und so sah sie auf das Glück ihres Sohnes
mit stiller Trauer, just wie ein um Hab und Gut Gekommener auf den
neuen Besitzers eines ehemaligen Hauses blickt. Sie mahnte ihn
durch Erinnerungen daran, wie sie sich einst für ihn gesorgt und
abgemüht und ihm Opfer gebracht hatte. Im Vergleiche damit leiste
Emma viel weniger für ihn, und darum wäre seine ausschließliche
Anbetung durchaus nicht gerechtfertigt.
Karl wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Er verehrte seine
Mutter, und seine Frau liebte er auf seine Art über alle Maßen. Was
die eine sagte, galt ihm für unfehlbar; gleichwohl fand er an der
andern nichts auszusetzen. Wenn Frau Bovary wiederabgereist war, machte er schüchterne Versuche, die
oder jene ihrer Bemerkungen wörtlich zu wiederholen. Emma bewies
ihm dann mit wenigen Worten, daß er im Irrtum sei, und meinte, er
solle sich lieber seinen Patienten widmen.
Immerhin versuchte sie nach Theorien, die ihr gut schienen,
Liebesstimmung nach ihrem Geschmack zu erregen. Wenn sie bei
Mondenschein zusammen im Garten saßen, sagte sie verliebte Verse
her, soviel sie nur auswendig wußte, oder sie sang eine
schwermütige gefühlvolle Weise. Aber hinterher kam sie sich selber
nicht aufgeregter als vorher vor, und auch Karl war offenbar weder
verliebter noch weniger stumpfsinnig denn erst.
Das waren vergebliche Versuche, eine große Leidenschaft zu
entfachen. Im übrigen war Emma unfähig, etwas zu verstehen, was sie
nicht an sich selber erlebte, oder an etwas zu glauben, was nicht
offen zutage lag. Und so redete sie sich ohne weiteres ein, Karls
Liebe sei nicht mehr übermäßig stark. In der Tat gewannen seine
Zärtlichkeiten eine gewisse Regelmäßigkeit. Er schloß seine Frau zu
ganz bestimmten Stunden in seine Arme. Es ward das eine Gewohnheit
wie alle andern, gleichsam der Nachtisch, der kommen muß, weil er
auf der Menükarte steht.
Ein Waldwärter, den der Herr Doktor von einer Lungenentzündung
geheilt hatte, schenkte der Frau Doktor ein junges italienisches
Windspiel. Sie nahm es mit auf ihre Spaziergänge. Mitunter ging sie
nämlich aus, um einmal eine Weile für sich allein zu sein und nicht
in einem fort bloß den Garten und die staubige Landstraße vor Augen
zu haben.
Sie wanderte meist bis zum Buchenwäldchen von Banneville, bis
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