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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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erblich
schließlich, um auf andren Idealgeschöpfen wieder aufzuflammen.
    Unermeßlich wie das Weltmeer, in der Sonne eines Wunderhimmels,
so stand Paris vor Emmas Phantasie. Das tausendfältige Leben, das
sich in diesem Babylon abspielt, war gleichwohl für sie auf ganz bestimmte Einzelheiten beschränkt, die
sie im Geiste in deutlichen Bildern sah. Neben diesen – man könnte
sagen – Symbolen des mondänen Lebens trat alles andre in Dunkel und
Dämmerung zurück.
    Das Dasein der Hofmenschen, so wie sie sichs vorstellte, spielte
sich auf glänzendem Parkett ab, in Spiegelsälen, um ovale Tische,
auf denen Samtdecken mit goldnen Fransen liegen. Dazu
Schleppkleider, Staatsgeheimnisse und tausend Qualen hinter
heuchlerischem Lächeln. Das Milieu des höchsten Adels bildete sie
sich folgendermaßen ein: Vornehme bleiche Gesichter; man steht früh
um vier Uhr auf; die Damen, allesamt unglückliche Engel, tragen
Unterröcke aus irischen Spitzen; die Männer, verkannte Genies,
kokettierend mit der Maske der Oberflächlichkeit, reiten aus
Ubermut ihre Vollblüter zuschanden, die Sommersaison verbringen sie
in Baden-Baden, und wenn sie vierzig Jahre alt geworden sind,
heiraten sie zu guter Letzt reiche Erbinnen. Die dritte Welt, von
der Emma träumte, war das bunte Leben und Treiben der Künstler,
Schriftsteller und Schauspielerinnen, das sich in den separierten
Zimmern der Restaurants abspielt, wo man nach Mitternacht bei
Kerzenschein soupiert und sich austollt. Diese Menschen sind die
Verschwender des Lebens, Könige in ihrer Art, voller Ideale und
Phantastereien. Ihr Dasein verläuft hoch über dem Alltag, zwischen
Himmel und Erde, in Sturm und Drang.
    Alles andre in der Welt war für Emma verloren, wesenslos, so gut
wie nicht vorhanden. Je näher ihr die Dinge übrigens standen, um so
weniger berührten sie ihr Innenleben. Alles, was sie unmittelbar
umgab: die eintönige Landschaft, die kleinlichen armseligen
Spießbürger, ihr ganzes Durchschnittsdasein kam ihr wie ein Winkel
der eigentlichen Welt vor. Er existierte zufällig, und sie war in
ihn verbannt. Aber draußen vor seinen Toren, da begann das weite,
weite Reich der Seligkeiten und Leidenschaften.
    In der Sehnsucht ihres Traumlebens flossen
Wollust und Luxus mit den Freuden des Herzens, erlesene
Lebensführung mit Gefühlsfeinheiten ineinander. Bedarf die Liebe,
ähnlich wie die Pflanzen der Tropen, nicht ihres eigenen Bodens und
ihrer besondren Sonne? Seufzer bei Mondenschein, innige Küsse,
Tränen, vergossen auf hingebungsvolle Hände, Fleischeslust und
schmachtende Zärtlichkeit, alles das war ihr unzertrennlich von
stolzen Schlössern voll müßigen Lebens, von Boudoiren mit seidnen
Vorhängen und dicken Teppichen, von blumengefüllten Vasen, von
Himmelbetten, von funkelnden Brillanten und gold-strotzender
Dienerschaft.
    Der Postkutscher, der allmorgentlich in seiner zerrissenen
Stalljacke, die bloßen Füße in Holzpantoffeln, kam, um die Stute zu
füttern und zu putzen, klapperte jedesmal durch die Hausflur. Das
war der Groom in Kniehosen. Mit dem mußte sie zufrieden sein. Wenn
er fertig war, ließ er sich den ganzen Tag über nicht wieder
blicken. Karl pflegte nämlich sein Pferd, wenn er es geritten
hatte, selbst einzustellen. Während er Sattel und Zäumung aufhing,
warf die Magd dem Tiere ein Bund Heu vor.
    Nachdem Anastasia unter tausend Tränen wirklich das Haus
verlassen hatte, nahm Emma an ihrer Stelle ein junges Mädchen in
Dienst, eine Waise von vierzehn Jahren, ein sanftmütiges Wesen. Sie
zog sie nett an, brachte ihr höfliche Manieren bei, lehrte sie, ein
Glas Wasser auf dem Teller zu reichen, vor dem Eintreten in ein
Zimmer anzuklopfen, unterrichtete sie im Plätten und Bügeln der
Wäsche und ließ sich von ihr beim Ankleiden helfen. Mit einem
Worte, sie bildete sich eine Kammerzofe aus. Felici – so hieß das
neue Mädchen – gehorchte ihr ohne Murren. Es gefiel ihr im Hause.
Die Hausfrau pflegte den Büfettschlüssel stecken zu lassen. Felicie
nahm sich alle Abende einige Stücke Zucker
und verzehrte sie, wenn sie allein war, im Bett, nachdem sie ihr
Gebet gesprochen hatte. Nachmittags, wenn Frau Bovary wie
gewöhnlich oben in ihrem Zimmer blieb, ging sie ein wenig in die
Nachbarschaft klatschen.
    Emma kaufte sich eine Schreibunterlage, Briefbogen, Umschläge
und einen Federhalter, obgleich sie niemanden hatte, an den sie
hätte schreiben können. Häufig besah sie sich im Spiegel. Mitunter
nahm sie ein Buch zur Hand, aber beim

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