Madame Bovary
waren die Fensterscheiben
mit Eisblumen bedeckt, und das Tageslicht, das wie durch
mattgeschliffenes Glas hereindrang, blieb mitunter den ganzen Tag
über trüb. Von nachmittags vier Uhr an mußten die Lampen
brennen.
An schönen Tagen ging Emma in den Garten hinunter. Der Rauhfrost
hatte über die Gräser ein silbernes Netz gewoben, dessen glitzernde
Maschen von Halm zu Halm gesponnen waren. Kein Vogel sang. Die
Natur schien zu schlafen. Das Spalier war mit Stroh umwickelt, und
die Weinstöcke hingen an der Mauer wie vereiste Schlangen. Der
lesende Mönch unter den Fichten an der Hecke hatte den rechten Fuß
verloren. Im Frost war die Glasur abgesprungen, und graue Flecke
entstellten ihm nun das Gesicht.
Nach einer Weile stieg sie wieder hinauf in ihr Zimmer, schloss
die Tür ab und schürte das Feuer im Kamine. In der Wärme des
Zimmers ward sie matt, und die Langeweile lastete schwerer auf ihr.
Gern wäre sie hinuntergelaufen, um mit dem Dienstmädchen zu
plaudern, aber dazu war sie zu stolz.
Alle Morgen um die nämliche Stunde öffnete drüben der
Schulmeister, sein schwarzseidnes Käppchen auf dem Kopfe, die
Fensterläden seiner Behausung. Dann marschierte der Landgendarm mit
seinem Säbel vorüber. Morgens und abends wurden die Postpferde,
immer drei auf einmal, zur Tränke nach dem Dorfteiche
vorbeigeführt. Von Zeit zu Zeit schellte die Türklingel irgendeines
Ladens; und wenn der Wind ging, hörte man die Messingbecken, die
als Aushängeschilder vor dem Barbiergeschäfte hingen, an ihre
Stange klirren. Das Schaufenster schmückten ein altes auf Pappe
ausgeklebtes Modenkupfer und eine
weibliche Wachsbüste mit einer gelben Perücke. Der Friseur pflegte
über seinen brotlosen Beruf und seine jammervolle Zukunft zu
lamentieren; sein höchster Traum war ein Laden in einer großen
Stadt, etwa in Rouen, am Kai, in der Nähe des Theaters. Mürrisch
wanderte er den ganzen Tag über zwischen dem Gemeindeamt und der
Kirche hin und her und lauerte auf Kundschaft. Sooft Frau Bovary
durch ihr Fenster blickte, sah sie ihn jedesmal in seinem braunen
Rock, die Zipfelmütze auf dem Haupte, wie einen Wachtposten hin und
her patrouillieren.
Am Nachmittag erschien zuweilen vor den Fenstern des Eßzimmers
ein sonnengebräunter Männerkopf mit einem schwarzen Schnurrbarte
und einem trägen Lächeln um den Mund, in dem die Zähne leuchteten.
Alsbald begann eine Walzermelodie aus einem Leierkasten, auf dessen
Deckel ein kleiner Ballsaal aufgebaut war mit daumenhohen Figuren
darin: Frauen in roten Kopftüchern, Tiroler in Lodenjacken, Affen
in schwarzen Röcken, Herren in Kniehosen; alle tanzten sie zwischen
den Sofas und Lehnstühlen und Tischen, wobei sie sich in
Spiegelstücken vervielfältigten, die mit Goldpapier
aneinandergereiht waren. Der Leierkastenmann drehte die Kurbel und
spähte dabei nach rechts und links nach allen Fenstern. Hin und
wieder spie er einen langen Strahl tabakbraunen Speichels gegen die
Prellsteine oder stieß mit dem Knie seinen Kasten in die Höhe,
dessen Gurt ihm die Schultern drückte. In einem fort, bald
schwermütig und schleppend, bald flott und lustig, dudelte die
Musik hinter dem roten Taftbezug, der unter einer schnörkelhaft
ausgestanzten Messingleiste an den Leierkasten angenagelt war. Es
waren Melodien, die gerade Mode waren und die man überall hörte, in
den Theatern, Salons und Tanzsälen, Klänge aus der fernen Welt, die
auf diese Weise die einsame Frau erreichten. Diese
Klänge im Dreivierteltakt wollten dann
nicht wieder aus ihrem Kopfe weichen. Wie die Bajadere über den
Blumen ihres Teppichs, tanzten ihre Gedanken im Rhythmus dieser
Melodien und wiegten sich von Traum zu Traum und von Trübsal zu
Trübsal. Wenn der Mann die milden Gaben in seiner Mütze gesammelt
hatte, umhüllte er seinen Kasten mit einem blauwollnen Uberzug,
nahm ihn auf den Rücken und verließ das Dorf schweren Schrittes.
Emma schaute ihm lange nach.
Am unerträglichsten waren ihr die Mahlzeiten im Eßzimmer unten
im Erdgeschoß. Der Ofen rauchte, die Türe knarrte, die Wände waren
feucht und der Fußboden kalt. Die ganze Bitternis ihres Daseins
schien ihr da auf ihrem Teller zu liegen, und aus dem Dampf des
ausgekochten Rindfleisches wehte ihr gleichsam der Brodem ihres ihr
so widerwärtig gewordenen Lebens entgegen. Karl aß und aß, während
sie ein paar Nüsse knackte oder, auf die Ellenbogen gestützt, sich
damit vergnügte, mit der Messerspitze allerlei Linien in das
Wachstuch zu kritzeln.
In der
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