Madame Bovary
seinen feisten Backen zu verschwinden.
Zuweilen schob ihm Emma den roten Saum seines Trikotunterhemdes
wieder unter den Kragen, zupfte die Krawatte zurecht oder
beseitigte ein Paar abgetragener Handschuhe, die er sonst noch
länger angezogen hätte. Aber dergleichen tat sie nicht, wie er
wähnte, ihm zuliebe. Es geschah einzig und allein aus nervöser
Reizbarkeit und egoistischem Schönheitsdrang. Mitunter erzählte sie
ihm Dinge, die sie gelesen hatte, etwa aus einem Roman oder aus
einem neuen Stücke, oder Vorkommnisse aus dem Leben der oberen
Zehntausend, die sie im Feuilleton einer Zeitung erhascht hatte.
Schließlich war Karl wenigstens ein
aufmerksamer und geneigter Zuhörer, und sie konnte doch nicht immer
nur ihr Windspiel, das Feuer im Kamin und den Perpendikel ihrer
Kaminuhr zu ihren Vertrauten machen!
Im tiefsten Grunde ihrer Seele harrte sie freilich immer des
großen Erlebnisses. Wie der Schiffer in Not, so suchte sie mit
verzweifelten Augen den einsamen Horizont ihres Daseins ab und
spähte in die dunstigen Fernen nach einem weißen Segel. Dabei hatte
sie gar keine bestimmte Vorstellung, ob ihr der richtige Kurs oder
der Zufall das ersehnte Schiff zuführen solle, nach welchem Gestade
sie dann auf diefem Fahrzeuge steuern würde, welcher Art dieses
Schiff überhaupt sein solle, ob ein schwaches Boot oder ein großer
Ozeandampfer, und mit welcher Fracht er fahre, mit tausend Ängsten
oder mit Glückseligkeiten beladen bis hinauf in die Wimpel. Aber
jeden Morgen, wenn sie erwachte, rechnete sie bestimmt darauf,
heute müsse es sich ereignen. Bei jedem Geräusch zuckte sie
zusammen, fuhr sie empor und war dann betroffen, daß es immer noch
nicht kam, das große Erlebnis. Wenn die Sonne sank, war sie
jedesmal tieftraurig, aber sie hoffte von neuem auf den nächsten
Tag.
Der Frühling zog wieder in das Land. Als die Tage wärmer wurden
und die Birnbäume zu blühen begannen, litt Emma an Beklemmungen.
Dann ward es Sommer. Bereits Anfang Juli zählte sie sich an den
Fingern ab, wieviel Wochen es noch bis zum Oktober seien.
Vielleicht gäbe der Marquis von Andervilliers wieder einen Ball.
Aber der ganze September verstrich, ohne daß ein Brief oder ein
Besuch aus Vaubyessard kam. Nach dieser Enttäuschung war ihr Herz
wieder leer, und das ewige Einerlei ihres Lebens hub von neuem
an.
Also sollten sich denn fortan ihre Tage aneinanderreihen wie die
Perlen an einer Schnur, jeder immer wieder gleich dem andern,
sollten kommen und gehen und nie etwas Neues bringen! So flach auch das Leben andrer Leute war, sie hatten
doch immerhin die Möglichkeit eines außergewöhnlichen
Geschehnisses. Ein Abenteuer zieht häufig die unglaublichsten
Umwälzungen nach sich und verändert rasch die ganze Szene. Aber in
ihrem Dasein blieb alles beim alten. Das war ihr Schicksal! Die
Zukunft lag vor ihr wie ein langer stockfinsterer Gang, und die Tür
ganz am Ende war fest verriegelt.
Sie vernachlässigte die Musik. Wozu Klavier spielen? Wer hörte
ihr denn zu? Es war ihr doch niemals vergönnt, in einem
Gesellschaftskleid mit kurzen Ärmeln auf einem Konzertflügel vor
einer großen Zuhörerschaft vorzutragen, ihre flinken Finger über
die Elfenbeintasten hinstürmen zu lassen und das Murmeln der
Verzückung um sich zu hören wie das Rauschen des Zephirs. Wozu also
das mühevolle Einstudieren? Ebenso packte sie ihr Zeichengerät und
den Stickrahmen in den Schrank. Wozu das alles? Wem zuliebe? Auch
das Nähen ward ihr widerlich, und selbst das Lesen ließ sie. »Es
ist immer wieder dasselbe!« sagte sie sich.
Und so träumte sie vor sich hin, starrte in die Glut des Kamins
oder sah zu, wie draußen der Regen herniederfiel.
Am traurigsten waren ihr die Sonntagsnachmittage. Wenn es zur
Vesper läutete, hörte sie, vor sich hinbrütend, den dumpfen
Glockenschlägen zu. Eine Katze schlich über die Dächer, gemächlich
und langsam, und wo ein bißchen Sonne war, machte sie einen Buckel.
Auf der Landstraße blies der Wind Staubwirbel auf. In der Ferne
heulte ein Hund. Und zu allem dem, in einem fort, in gleichen
Zeiträumen, der monotone Glockenklang, der über den Feldern
verhallte.
Inzwischen kamen die Leute aus der Kirche. Die Frauen in
Lackschuhen, die Bauern in ihren Sonntagsblusen, die hin und her
laufenden Kinder in bloßen Köpfen. Alles ging
heimwärts. Nur fünf bis sechs Männer,
immer dieselben, blieben vor dem Hoftor des Gafthofes beim
Stöpselspiel, bis es dunkel wurde.
Es kam ein kalter Winter. Jeden Morgen
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