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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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schon lag! Und was war es, das sich
zwischen vorgestern und heute abend wie eine breite Kluft drängte?
Diese Reise nach Vaubyessard hatte in ihr Leben einen tiefen Riß
gerissen, einen klaffenden Abgrund, wie ihn der Sturm zuweilen in
einer einzigen Nacht in den Bergen aufwühlt. Trotzdem kam eine
gewisse Resignation über sie. Wie eine Reliquie verwahrte sie ihr
schönes Ballkleid in ihrem Schranke, sogar die Atlasschuhe, deren
Sohlen vom Parkettwachs eine bräunliche Politur bekommen hatten.
Emmas Herz ging es wie ihnen. Bei der Berührung mit dem Reichtum
war etwas daran haften geblieben für immerdar.
    An den Ball zurückdenken, wurde für Emma eine besondre
Beschäftigung. An jedem Mittwoche wachte sie mit dem Gedanken auf:
»Ach, heute vor acht Tagen war es!« – »Heute vor vierzehn Tagen war
es!« – »Heute vor drei Wochen war es!« Allmählich aber verschwammen
in ihrem Gedächtnisse die einzelnen Gesichter, die sie im Schlosse
gesehen hatte. Die Melodien der Tänze entfielen ihr. Sie vergaß,
wie die Gemächer und die Livreen ausgesehen hatten. Immer mehr
schwanden ihr die Einzelheiten, aber ihre Sehnsucht blieb
zurück.

Kapitel 9
     
    Oft, wenn Karl unterwegs war, holte Emma die grünseidene
Zigarrentasche aus dem Schrank, wo sie unter gefalteter Wäsche
verborgen lag. Sie betrachtete sie, öffnete sie und sog sogar den
Duft ihres Futters ein, das nach Lavendel und Tabak roch. Wem
mochte sie gehört haben? Dem Vicomte? Vielleicht war es ein
Geschenk seiner Geliebten. Gewiß hatte sie die Stickerei auf einem
kleinen Rahmen von Polisanderholz angefertigt, ganz heimlich, in
vielen, vielen Stunden, und die weichen Locken der träumerischen
Arbeiterin hatten die Seide gestreift. Ein Hauch von Liebe wehte
aus den Stichen hervor. Mir jedem Faden war eine Hoffnung oder eine
Erinnerung eingestickt worden, und alle diese kleinen
Seidenkreuzchen waren das Denkmal einer langen stummen
Leidenschaft. Und dann, eines Morgens, hatte der Vicomte die Tasche
mitgenommen. Wovon hatten die beiden wohl geplaudert, als sie noch
auf dem breiten Simse des Kamines zwischen Blumenvasen und
Stutzuhren aus den Zeiten der Pompadour lag?
    Jetzt war der Vicomte wohl in Paris. Weit weg von ihr und von
Tostes! Wie mochte dieses Paris sein? Welch geheimnisvoller Name!
Paris! Sie flüsterte das Wort immer wieder vor sich hin. Es machte
ihr Vergnügen. Es raunte ihr durch die Ohren wie der Klang einer
großen Kirchenglocke. Es flammte ihr in die Augen, wo es auch
stand, selbst von den Etiketten ihrer Pomadenbüchsen.
    Nachts, wenn die Seefischhändler unten auf der Straße
vorbeifuhren mit ihren Karren und die »Majorlaine« sangen, ward sie
wach. Sie lauschte dem Rasseln der Räder, bis die Wagen aus dem
Dorfe hinaus waren und es wieder still wurde.
    »Morgen sind sie in Paris!« seufzte die Einsame. Und in ihren
Gedanken folgte sie den Fahrzeugen über Berg und Tal,
durch Dörfer und Städte, immer die große
Straße hin in der lichten Sternennacht. Aber weiter weg gab es ein
verschwommenes Ziel, wo ihre Träume versagten. Sie kaufte sich
einen Plan von Paris und machte mit dem Fingernagel lange
Wanderungen durch die Weltstadt. Sie lief auf den Boulevards hin,
blieb an jeder Straßenecke stehen, an jedem Hause, das im Stadtplan
eingezeichnet war. Wenn ihr die Augen schließlich müde wurden,
schloß sie die Lider, und dann sah sie im Dunkeln, wie die Flammen
der Laternen im Winde flackerten und wie die Kutschen vor dem
Portal der Großen Oper donnernd vorfuhren.
    Sie abonnierte auf den »Bazar« und die »Modenwelt« und studierte
auf das gewissenhafteste alle Berichte über die Premieren, Rennen
und Abendgesellschaften. Sie war unterrichtet, wenn berühmte
Sängerinnen Gastspiele gaben oder neue Warenhäuser eröffnet wurden;
sie kannte die neuesten Moden, die Adressen der guten Schneider;
sie wußte, an welchen Tagen die vornehme Gesellschaft im Bois und
in der Oper zu finden war. Aus den Moderomanen lernte sie, wie die
Pariser Wohnungen eingerichtet waren. Sie las Balzac und die George
Sand, um wenigstens in der Phantasie ihre Begehrlichkeit zu
befriedigen. Sie brachte diese Bücher sogar mit zu den Mahlzeiten
und las darin, während Karl aß und ihr erzählte. Und was sie auch
las, überallhinein drangen ihre Reminiszenzen an den Vicomte.
Zwischen ihm und den Romangestalten fand sie allerhand Beziehungen.
Aber allmählich erweiterte sich der Ideenkreis, dessen Mittelpunkt
er war, und der Heiligenschein, den er getragen hatte,

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