Madame Bovary
sei. Sie war ganz aufgeregt. Da trat ein
schwarz gekleideter Mann in die Küche. Das Dämmerlicht beleuchtete
sein kupferrotes Antlitz und umfloß seine herkulischen Linien.
»Was steht dem Herrn Pfarrer zu Diensten?« fragte die Wirtin und
nahm vom Kaminsims einen der Messingleuchter, die mit ihren weißen
Kerzen in einer wohlgeordneten Reihe dastanden. »Haben Ehrwürden
einen Wunsch? Ein Gläschen Wacholder oder einen Schoppen Wein?«
Der Priester dankte verbindlich. Er kam wegen seines
Regenschirmes, den er tags zuvor im Kloster Ernemont hatte stehen
lassen. Nachdem er Frau Franz gebeten hatte, ihn gelegentlich holen
und im Pfarrhause abgeben zu lassen, empfahl er sich, um nach der
Kirche zu gehen, wo schon das Ave-Maria geläutet ward.
Als die Tritte des Geistlichen draußen verklungen waren, machte
der Apotheker die Bemerkung, der Pfarrer habe sich eben sehr
ungebührlich benommen. Eine angebotene Erfrischung abzuschlagen,
sei seiner Ansicht nach eine ganz abscheuliche Heuchelei. Die
Pfaffen söffen insgeheim alle miteinander. Am liebsten möchten sie
den Zehnten wieder einführen.
Die Löwenwirtin verteidigte ihren Beichtvater.
»Na, übrigens nimmt ers mit vier Mannsen von Eurem Kaliber
zugleich auf!« meinte sie. »Voriges Jahr hat er unsern Leuten beim
Strohaufladen geholfen. Er hat immer sechs Schütten auf einmal
getragen. So stark ist er!«
»Natürlich!« rief Homais aus. »Schickt nur Eure Mädels solchen
Krafthubern zur Beichte! Wenn ich im Staate was zu
sagen hätte, dann kriegte jeder Pfaffe
aller vier Wochen einen Blutegel angesetzt. Jawohl, Frau Wirtin,
aller vier Wochen einen ordentlichen Aderlaß zur Hebung von
Sicherheit und Sittlichkeit im Lande!«
»Aber Herr Apotheker! Sie sind gottlos! Sie haben keine
Religion!«
Homais erwiderte:
»Ich habe eine Religion: meine Religion! Und die ist mehr wert
als die dieser Leute mit all dem Firlefanz und Mummenschanz. Ich
verehre Gott. Erst recht tue ich das. Ich glaube an eine höhere
Macht, an einen Schöpfer. Sein Wesen kommt hierbei nicht in Frage.
Wir Menschen sind hienieden da, damit wir unsre Pflichten als
Staatsbürger und Familienväter erfüllen. Aber ich habe kein
Bedürfnis, in die Kirche zu gehen, silbernes Gerät zu küssen und
eine Bande von Possenreißern aus meiner Tasche zu mästen, die sich
besser hegen und pflegen als ich mich selber. Gott kann man viel
schöner verehren im Walde, im freien Felde oder meinetwegen nach
antiker Anschauung angesichts der Gestirne am Himmel. Mein Gott ist
der Gott der Philosophen und Künstler. Ich bin für Rousseaus
Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars. Für die unsterblichen
Ideen von Anno 1789! Und da glaube ich nicht an den sogenannten
lieben Gott, der mit einem Spazierstöckchen in der Hand gemütlich
durch seinen Erdengarten bummelt, seine Freunde in einem
Walfischbauch einquartiert, jammernd am Kreuze stirbt und am
dritten Tage wieder aufersteht von den Toten. Das ist schon an und
für sich Blödsinn und obendreim wider alle Naturgesetze! Es beweist
aber nebenbei, daß sich die Pfaffen in der schmachvollen Ignoranz,
mit der sie die Menschheit verdummen möchten, mir Wollust selber
herumsielen.«
Er schwieg und überschaute seine Zuhörerschaft. Er hatte
sich ins Zeug gelegt, als spräche er vor
versammeltem Gemeinderat. Die Wirtin war längst aus der Gaststube
gelaufen. Sie lauschte draußen und vernahm ein fernes rollendes
Geräusch. Bald hörte sie deutlich das Rasseln der Räder und das
Klappern eines lockeren Eisens auf dem Pflaster. Endlich hielt die
Postkutsche vor der Haustüre.
Es war ein gelblackierter Kasten auf zwei Riesenrädern, die bis
an das Wagendeck hinaufreichten. Sie raubten dem Reisenden jegliche
Aussicht und bespritzten ihn fortwährend. Die winzigen Scheiben in
den Wagenfenstern klirrten in ihrem Rahmen. Wenn man sie heraufzog,
sah man, daß sie vor Staub und Straßenschmutz starrten. Der
stärkste Platzregen hätte sie nicht rein gewaschen. Das Fahrzeug
war mit drei Pferden bespannt: zwei Stangen- und einem
Vorderpferde.
Vor dem Gasthofe entstand ein kleiner Menschenauflauf. Alles
redete durcheinander. Der eine fragte nach Neuigkeiten, ein andrer
wollte irgendwelche Auskunft, ein dritter erwartete eine
Postsendung. Hivert, der Postkutscher, wußte gar nicht, wem er
zuerst Bescheid geben sollte. Er pflegte nämlich allerlei Aufträge
für die Landleute in der Stadt zu übernehmen. Er machte Einkäufe,
brachte dem Schuster Leder und dem Schmied altes Eisen
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