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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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nächstes Jahr hören. Ich habe
die Absicht, nach Paris zu gehen, um mein juristisches Studium zu
vollenden.«
    »Wie ich bereits die Ehre hatte, Ihrem Herrn Gemahl
mitzuteilen,« sagte wiederum der Apotheker, »als ich ihm von dem
armen Stryienski berichtete, der auf und davon gegangen ist: dank
den Dummheiten, die der begangen hat, werden Sie sich eines der
komfortabelsten Häuser von Yonville erfreuen. Eine ganz besondre
Bequemlichkeit gerade für einen Arzt ist das Vorhandensein einer
Hinterpforte nach dem Bach und der Allee zu. Man kann dadurch
unbeobachtet ein und aus gehen. Die Wohnung selbst besitzt alle
denkbaren Annehmlichkeiten; sie hat ein großes Eßzimmer, eine Küche
mit Speisekammer, eine Waschküche, einen Obstkeller usw. Ihr
Vorgänger war ein flotter Kerl, dem es auf ein paar Groschen nicht
ankam. Hinten in seinem Garten, mit dem Blick auf unser Flüßchen,
da hat er sich ein Lusthäuschen bauen lassen, lediglich, um an
Sommerabenden sein Bier drin zu süffeln. Wenn die gnädige Frau die
Blumenzucht liebt….«
    »Meine Frau gibt sich damit nicht weiter ab«, unterbrach ihn
Karl. »Obgleich ihr körperliche Bewegung verordnet ist, bleibt sie
lieber dauernd in ihrem Zimmer und liest.«
    »Ganz wie ich!« fiel Leo ein. »Was wäre wohl
auch gemütlicher, als abends beim Schein der Lampe mit einem Buche
am Kamine zu sitzen, während draußen der Wind gegen die
Fensterscheiben schlägt?«
    »So ist es!« stimmte sie zu und blickte ihn mit ihren großen
schwarzen Augen voll an.
    Er fuhr fort:
    »Dann denkt man an nichts, und die Stunden verrinnen. Ohne daß
man sich bewegt, wandert man mit dem Erzähler durch ferne Lande.
Man wähnt sie vor Augen zu haben. Man träumt sich in die fremden
Erlebnisse hinein, bis in alle Einzelheiten; man verstrickt sich in
allerhand Abenteuer; man lebt und webt unter den Gestalten der
Dichtung, und es kommt einem zuletzt vor, als schlüge das eigne
Herz in ihnen.«
    »Wie wahr! Wie wahr!« rief Emma aus.
    »Haben Sie es nicht zuweilen erlebt, in einem Buche einer
bestimmten Idee zu begegnen, die man verschwommen und unklar längst
in sich selbst trägt? Wie aus der Ferne schwebt sie nun mit einem
Male auf einen zu, gewinnt feste Umrisse, und es ist einem, als
stehe man vor einer Offenbarung seines tiefsten Ichs….«
    »Das hab ich schon erlebt!« flüsterte sie.
    »Und darum«, fuhr er fort, »liebe ich die Dichter über alles.
Ich finde, Verse sind zarter als Prosa. Sie rühren so schön zu
Tränen!«
    »Aber sie ermüden auf die Dauer,« wandte Emma ein, »und daher
ziehe ich jetzt mehr die Romane vor, aber sie müssen spannend und
aufregend sein. Widerlich sind mir Alltagsleute und lauwarme
Gefühle. Die hat man doch schon genug in der Wirklichkeit.«
    »Gewiß,« bemerkte der Adjunkt, »die naturalistischen
Romane haben dem Herzen nichts zu sagen
und entfernen sich damit, meiner Ansicht nach, von dem wahren Ziele
der Kunst. Es ist so süß, sich aus den Häßlichkeiten des Daseins
herauszuzüchten, wenigstens in Gedanken: zu edlen Charakteren, zu
hehren Leidenschaften und zu glückseligen Zuständen. Für mich, der
ich hier fern der großen Welt lebe, ist das die einzige Erholung.
Nur hat man in Yonville wenig Gelegenheit …«
    »Jedenfalls genau so wie in Tostes!« bemerkte Emma. »Drum war
ich ständig in einer Leihbibliothek abonniert.«
    Der Apotheker hatte diese letzten Worte gehört. »Wenn gnädige
Frau mir die Ehre erweisen wollen,« sagte er, »meine Bibliothek zu
benutzen, so steht sie Ihnen zur Verfügung. Sie enthält die besten
Autoren: Voltaire, Rousseau, Delille, Walter Scott, außerdem em
paar Zeitschriften und Zeitungen, unter andern den »Leuchtturm von
Rouen«, ein Tagesblatt, dessen Korrespondent für Buchy, Forges,
Neuschâtel, Yonville und Umgegend ich bin.«
    Man saß bereits zwei und eine halbe Stunde bei Tisch, nicht ohne
Mitverschulden der bedienenden Artemisia, die in ihren Holzschuhen
saumselig über die Dielen schlürfte, jeden Teller einzeln
hereinbrachte, allerlei vergaß, jeden Auftrag überhörte und immer
wieder die Türe zum Billardzimmer offen ließ, die dann krachend von
selber zuklappte.
    Ohne es zu bemerken, hatte Leo, während er so eifrig plauderte,
einen Fuß auf eine der Querleisten des Stuhles gesetzt, auf dem
Frau Bovary saß. Sie trug einen gefalteten steifen Batistkragen und
einen blauseidnen Schlips, und je nach den Bewegungen, die sie mit
ihrem Kopfe machte, berührte ihr Kinn den Batist oder entfernte
sich graziös

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