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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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sie dicht vor sein Gesicht, der glänzende Schleim klebte an seinen Fingern. Die hin und her tastenden Fühler zogen sich zusammen, wenn sein warmer Atem sie traf. Dann schlug ihm jemand die Schnecke aus der Hand, erschreckte ihn. Das musste sein Vater gewesen sein, er erinnert sich an einen weißen Ärmel, eine gebräunte Hand mit feinen goldenen Haaren darauf. Was als Nächstes geschah, ist ein wirres Durcheinander. Haben sie ihn da bei der Hand genommen und sind mit ihm den Hügel hinuntergegangen? Ist ihm da sein Kreisel eingefallen, und er hat sich losgerissen und ist zurückgerannt …
    Das Kind schrie und zerrte verzweifelt an dem weißen Ärmel der Frau, sodass sich ihre Hand von ihrer Kehle löste, das Messer zu Boden fiel, das Blut zu strömen begann …
    Er hat das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und stöhnt auf – Suzukis Kopf zuckt herum, als sie den Laut vernimmt, und dann ist sie auch schon bei ihm und nimmt ihn in die Arme, die kleine Frau tröstet und wiegt den kräftigen jungen Körper, den ein lange verschütteter Kummer erbeben lässt.
    Das Dach und die Holzwände sind verschwunden, die Tür weggeschleudert. Nur eine Mauer rechts neben der Tür steht noch, von der Druckwelle beschädigt, aber nicht zerstört.
    Er starrt die leere Stelle an, das, was einst ein Zimmer gewesen war, und Suzuki legt ihm die Hand auf den Arm und füllt die Lücken: Henry, der aus der Stadt den Hügel heraufgerannt kam, den Arzt gerufen hatte. Wie sie gemeinsam über seine Mutter gewacht hatten. Wie wütend sie danach gewesen war.
    »Henry sagte immer, sie habe ihm niemals verziehen, dass er ihr das Leben gerettet hat.«
    Stunden vergehen, in denen sie sich durch das Labyrinth einer fernen Vergangenheit tasten, durch die drei Jahre des Wartens, in denen Cho-Cho, als wäre es eine Beschwörungsformel, immer wieder sagte, eines schönen Tages werde Pinkerton zurückkehren, in den Hafen einlaufen, den Hügel heraufkommen. Bis dann der lang ersehnte Tag tatsächlich gekommen war und mit ihm all das, was folgte.
    Während Suzuki ohne Unterlass sprach – die Schweigsame, die Dienerin, die Beobachterin, die es anderen ermöglicht hatte, ihr Leben so zu leben, wie sie es wollten, die alles wusste und jetzt jemanden hatte, der ihr zuhörte –, stellte sie fest, dass sie zum ersten Mal im Mittelpunkt stand. Und mit den Worten, die aus ihr herausströmten, wich auch eine unerwartete Bitterkeit, ließ sie gereinigt zurück, erfüllt von innerer Heiterkeit, so wie sie nach außen hin schon immer gewirkt hatte.
    Als sie verstummte, überschüttete er sie mit Fragen, schürfte in ihr nach dem Gold der Erkenntnis.
    Gemeinsam gingen sie den Hügel hinunter zurück zum Hafen. Er teilte ihr mit, dass er nach Amerika fahren werde, sobald er Urlaub bekomme, um ein paar Dinge zu erledigen. Er versuchte, Suzuki begreiflich zu machen, wie sehr Nancy gelitten hatte, welche Schuldgefühle sie gequält hatten. Er erinnerte sich an etwas, das er bei Mr. Murakami gelernt hatte: das Konzept des honshin – die innere Wahrheit des Herzens.
    »Sie hat oft auf ihr Herz gehört. Ich wünsche mir, dass sie ihren Frieden findet.«
    Sie nahm seinen Arm, passte ihre Schritte den seinen an.
    »Du hast deine eigene giri . Du bist ein guter amerikanischer Sohn.«
    »Sie ist nicht meine Mutter, aber sie hat alles für mich getan …«
    »Bei uns gibt es ein altes Sprichwort.«
    »Was ist das bloß immer mit euch …« Er unterbrach sich. »Was ist das bloß immer mit uns und den alten Sprichwörtern?«
    »Man könnte es als eine andere Form der Ahnenverehrung bezeichnen.«
    »Und das alte Sprichwort?«
    »Umi-no-oya-yori sodate no oya.«
    »Deine wahren Eltern sind diejenigen, die für dich sorgen«, wiederholte er.
    Er musterte ihr breites, kantiges Gesicht, nicht schön, aber angenehm, beruhigend. Er spürte ihre Ruhe.
    »Du und Henry, ihr wart lange zusammen.«
    »Er war ein guter, freundlicher Mann. Er war deiner Mutter sehr ergeben.« Mehr sagte sie nicht, und Joe war sich bewusst, wie viel in diesem Moment ungesagt blieb.
    »Danke.«
    Wusste sie, dass er ihr für all die Jahre dankte, für ihre Sorge um Cho-Chos Wohl? Dafür, dass sie die leeren Stellen seiner Vergangenheit mit Menschen füllte?
    »Für den Kreisel«, sagte er.
    Er nahm den Zug zurück nach Tokio und beobachtete, wie die weniger stark beschädigten Außenbezirke Trümmerfeldern wichen, je weiter er sich dem Stadtzentrum näherte. Überall waren Leute bei der Arbeit, bauten wieder

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