Madrapour - Merle, R: Madrapour
Backenknochen, die ihr aus ich weiß nicht welchen Gründen etwas Grausames verleihen. Ein gelblicher Teint, nikotinverfärbte Zähne. Und aus all diesem Gelb blitzen zwei große blaue Augen hervor, die einmal sehr schön gewesen sein müssen, als Madame Murzec sich einen Mann einfangen wollte, dessen Witwe sie werden könnte. Denn sie ist bestimmt Witwe oder bestenfalls geschieden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mann länger als ein paar Jahre unter diesem unerbittlichen Blick leben könnte.
Die Stewardess muß weniger verwundbar sein als ich, denn weder die Augen noch die herrischen Winke Madame Murzecs – das ist der Name meiner Medusa – erreichen sie. Am Ende ruft Madame Murzec laut und schneidend: »Mademoiselle!«
»Bitte, Madame, Sie wünschen?« fragt die Stewardess, während sie sich endlich der Zwischenruferin zuwendet und sie friedfertig ansieht.
»Wir sitzen seit einer guten Stunde in dieser Maschine«, sagt Madame Murzec, »aber der Bordkommandant hat uns noch nicht begrüßt.«
»Ich vermute, daß der Lautsprecher nicht funktioniert«, sagt die Stewardess gelassen.
»Nun gut, dann müssen Sie eben die Bordinformation geben«, fährt Madame Murzec anklägerisch fort.
»Sie haben völlig recht, Madame«, sagt die Stewardess miteiner Höflichkeit, die durch ihre völlige Gleichgültigkeit Lügen gestraft wird. »Leider hatte ich das alles auf einem Zettel, und ich weiß nicht, wo ich den gelassen habe.«
Leicht schmollend fängt sie an, in den Taschen ihrer Uniform zu suchen, aber ohne Eile und ohne jegliche Überzeugung, als wäre sie von vornherein sicher, nichts zu finden. Ich lasse sie nicht aus den Augen, so entzückt bin ich von ihrem Mienenspiel.
Nichtsdestoweniger muß ich zugeben, daß Madame Murzec nicht ganz unrecht hat. In dieser Chartermaschine nach Madrapour behandelt man die Passagiere wirklich sehr lax.
»Und brauchen Sie einen Zettel für eine so einfache Information?« fragt Madame Murzec mit einer vor Sarkasmus zitternden Stimme.
»Aber sicher«, entgegnet die Stewardess. »Ich bin neu. Das ist mein erster Flug auf der Linie nach Madrapour. Da ist er ja!« fügt sie hinzu und zieht einen zusammengefalteten kleinen Zettel aus ihrer Tasche.
Sie betrachtet ihn einen Moment, als wäre sie selbst sehr erstaunt, ihn gefunden zu haben. Dann faltet sie ihn auseinander und liest mit eintöniger Stimme:
»Meine Damen, meine Herren, ich heiße Sie an Bord herzlich willkommen. Wir fliegen in einer Höhe von 11 000 Metern und mit einer Geschwindigkeit von 950 Stundenkilometern. Die Außentemperatur beträgt minus 50 Grad. Danke.«
Sie wiederholt die Information in ihrem zwitschernden Englisch, faltet den Zettel zusammen und steckt ihn wieder in ihre Tasche.
»Aber Mademoiselle, Ihre Bordinformation ist offenbar unvollständig!« sagt Madame Murzec entrüstet. »Es fehlen der Name des Bordkommandanten, Name und Typ der Maschine und vor allem die Zeit, wann wir in Athen zwischenlanden werden.«
Die Stewardess runzelt die Brauen.
»Ist es so wichtig, das alles zu wissen?« fragt sie seelenruhig.
»Aber gewiß, Mademoiselle«, sagt die Murzec wütend. »Auf jeden Fall ist es so üblich!«
»Tut mir leid«, sagt die Stewardess.
In Wirklichkeit zeigt ihr Gesicht kein Bedauern. Und jemehr ich darüber nachdenke, um so mehr finde ich, daß die Stewardess recht hat. Als Madame Murzec in diese Welt kam – ohne Zweifel in sehr gute Kreise –, hat sie da nach der Identität des Schöpfers und nach der Zukunft des Planeten gefragt? Und selbst wenn: wäre es für sie von großem Vorteil gewesen, zu erfahren, daß der Bordkommandant Jehova und die Erde Erde hieß? Diese Art Wahrheit, meine ich, ist lediglich nominell.
»Dann stellen Sie diese Fragen in meinem Namen dem Bordkommandanten«, sagt Madame Murzec hochfahrend. »Und bringen Sie mir die Antworten.«
»Ja, Madame«, sagt die Stewardess, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.
Sie entfernt sich mit der Grazie eines Engels, nur daß ein Engel geschlechtslos ist. Sie geht auf den Vorhang zu, der vermutlich in die Bordküche und von dort ins Cockpit führt. Ich folge ihr mit den Augen, bis sie verschwindet.
»Das schnattert und schnattert, diese französischen Weibsbilder«, sagt der korpulente Amerikaner zu meiner Rechten in seinem schleppenden Englisch. Der nämliche, der mir auf ziemlich ungehobelte Art geraten hatte, »meine Moneten auszuspucken«. »Aber Sie verstehen natürlich alles, was die sagen«, fügt er
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