Maechtig, mutig und genial
Amerikas«, und der mexikanische Literaturnobelpreisträger Octavio Paz hat in seinem berühmten Essay »Das Labyrinth der Einsamkeit« Malinches Verhalten als ein Paradigma sowohl für weiblichen Verrat als auch für die Probleme der Mexikaner mit ihrer spanisch-indianischen Vergangenheit dargestellt. Carlos Fuentes sieht in ihr ebenfalls die »Ursünde der Frauen«, den Verrat, verkörpert. Allerdings gibt er die Schuld an diesem Verrat nicht so sehr den Frauen selbst, als vielmehr der Unterdrückung, die ihnen im patriarchalischen System sowohl der Azteken als auch der Spanier widerfuhr.
Doch wen sollte Malintzin eigentlich verraten haben? Welche Loyalität schuldete sie einer Gesellschaft, die sie versklavt und an Fremde »verschenkt« hatte? Ein gesamt-indianisches Bewusstsein, das sie zu der Einsicht hätte bringen können, die Spanier seien die eigentlichen Feinde, existierte im 16. Jahrhundert nicht, bei Malintzin ebenso wenig wie bei den Tlaxcalteken oder anderen Völkern, die mit den Spaniern gegen die Azteken kämpften. Doch das Bild der Malinche als einer Verräterin und als Negativbeispiel für weibliches Verhalten überhaupt ist tief im Imaginarium der Mexikaner, vor allem der Männer, verwurzelt, denn es passt wunderbar zu einemvom Machismo geprägten Weltbild. Daran vermochte auch die Aufwertung der Malinche als Mutter des ersten Mestizen nicht viel zu ändern, sobald die Mexikaner nach der Revolution begannen, sich als mestizische Nation zu verstehen. Eine radikale Wende in der Interpretation begann erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Zuvor war das alte Bild der Verräterin wieder in den Vordergrund gerückt, diesmal mit Blick auf die in den USA lebenden Mexikanerinnen. Die massive Migration von Mexikanern in die USA und ihre dortige Etablierung als sogenannte
chicano/as
führte zu einer erneuten Verunsicherung über die kulturelle Verortung. Nun wurde Malinche erneut zum Symbol des Verlustes der mexikanischen Identität, diesmal aufgrund des US-amerikanischen kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Einflusses bzw. der Globalisierung. Mexikanische Männer in den USA werfen Frauen, die Beziehungen mit US-Amerikanern eingehen,
malinchismo
und damit Verrat an ihrer kulturellen Identität vor. Dieser neuen Verunglimpfung und Instrumentalisierung Malintzins setzten
chicanas
und mexikanische Feministinnen eine eigene Interpretation entgegen, die den Vorwurf des Verrats entkräftet. Viele sehen sie sogar als bewusste Kulturvermittlerin und wehren sich ebenfalls gegen die These von Malinche als Opfer spanischer und aztekischer Unterdrückung seitens der Männer.
Malintzin/Malinche als Symbol der verräterischen oder sexuell freizügigen Frau hat mit fortschreitendem Selbstbewusstsein der Mexikanerinnen an Überzeugungskraft eingebüßt, doch ist
malinchismo
noch immer ein gängiges Schimpfwort für unliebsames Verhalten seitens Frauen und junger Mädchen, das nicht nur von Männern benutzt wird.
Ausgewählte Literatur:
Es gibt zahlreiche, meist nicht sonderlich gute romanhafte Biographien über Malinche, die alle darunter leiden, dass man relativ wenig über sie weiß. Die erste und einzige wissenschaftliche Bearbeitung ihres Lebens, die auf der Kenntnis der sozialen und politischen Situation der Gesellschaften basiert,in denen Malintzin lebte, ist das Buch von Camilla Townsend:
Malintzin’s Choices. An Indian Woman in the Conquest of Mexico
. Albuquerque 2006. Einen guten Überblick über die bedeutende literarische Verarbeitung des Themas bietet Carmen Wurm:
Doña Marina, la Malinche. Eine historische Figur und ihre literarische Rezeption
. Frankfurt am Main 1996.
INÉS YUPANQUI / QUISPE ÇIÇA
PERU, UM 1520–1575
Eine Inkaprinzessin, die die Geliebte des rauen Haudegens Francisco Pizarro wurde, ihre Halbschwester den Spaniern auslieferte, ihren Ehemann zu vergiften versuchte und später wegen der Verschwendung ihres Vermögens anklagte – das Leben von Inés Yupanqui oder Quispe Çiça, wie sie mit Geburtsnamen hieß, war alles andere als durchschnittlich und langweilig. Ähnlich wie die bekanntere Malintzin/Malinche gehört Inés Yupanqui zu denjenigen Frauen, die zugleich Protagonistinnen und Opfer der spanischen Conquista waren. Dank ihres langen Lebens, aber auch aufgrund ihrer Hartnäckigkeit im Kampf um ihr mütterliches Erbe und ihrer Differenzen mit ihrem Ehemann wissen wir ein wenig mehr über sie als über die meisten anderen Frauen dieser Zeit. Auch wenn ihr Leben
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