Mädchen im Schnee
soweit ich weiß, hast du es in letzter Zeit nicht ausgeliehen. Das letzte Mal war an Silvester, da hat Stefan es gebraucht.«
Magdalena schloss die Haustür ab und schaltete das Flurlicht an. Wie lange Petter heute Abend wohl noch arbeiten musste? Das Haus kam ihr größer und dunkler vor denn je. Es war ruhig und still.
Schnell versendete sie eine SMS :
»Bin jetzt zu Hause. Arbeit lief super. Wann kommst du? Hab Riesensehnsucht. Kuss.«
Dann zog sie ihre Stiefel und Daunenhose aus.
Das Handy summte.
»Viele Fahrten in Ekshärad. Komme so bald ich kann, aber das wird noch ein paar Stunden dauern. Liebe dich.«
Liebe dich?
Magdalena spürte einen Kloß im Hals. Ich darf Angst haben, dachte sie und schluckte, aber ich muss trotzdem etwas wagen. Ich muss mir den ganzen Weg noch einmal zutrauen.
»Liebe dich auch. Obwohl ich mich nicht so recht traue.«
Die Antwort kam drei Sekunden später:
»Doch, das tust du«, zusammen mit einem blinkenden Smiley.
Ein paar Stunden, dachte Magdalena und ging in die Küche, machte die Lampe über dem Tisch an, schaltete das Radio ein und füllte den Wasserkocher. Die Füße tauten allmählich auf, aber sie taten noch weh.
Sie wählte Jens’ Nummer und ging ins Wohnzimmer.
»Na, wie schaut’s aus?«, fragte sie und schaltete die Stehlampe neben dem Sofa ein.
»Könnte nicht besser sein, aber ich bin total erschöpft. Das ist wahrscheinlich die Anspannung, die sich jetzt löst. Und du?«
»Dasselbe«, sagte Magdalena. »Ich habe vom Auto aus die Polizei angerufen. In Ekshärad ist irgendein Fest, aber sie versuchen auf jeden Fall noch heute Abend ins Florenz zu kommen.«
»Das ist gut.«
Als Magdalena die kleinen Lampen an der Wand neben dem großen Holzschrank angemacht hatte, ging sie zum Fenster neben der Terrassentür, um auch dort die Lampe anzumachen.
In dem Moment sah sie einen Mann die Treppe hinaufrennen. Wie gelähmt blieb sie stehen, und es war, als würde alle Kraft aus ihrem Körper schwinden. Das Handy glitt ihr aus der Hand und landete krachend auf dem Parkett.
Sie hörte ihren erstickten Schrei, dann wurde die Glastür zerschlagen.
32
Magdalena konnte nicht denken. Von Panik übermannt, rannte sie in den Flur und dann in die Toilette.
Das ist nicht wahr, das darf einfach nicht wahr sein …
Sie schloss die Tür hinter sich und sank auf die Toilette.
Jetzt hörte sie, wie die Terrassentür mit einem geräuschvollen Knarren geöffnet wurde, und dann hallten schwere Schritte durch das Wohnzimmer.
Nein …
Er rüttelte an der Türklinke.
Ich habe nur eine einzige Chance.
Magdalena zog die Knie unters Kinn und hielt sich die Ohren zu. Auf dem Waschbecken standen die beiden weißen Porzellanbecher nebeneinander, in dem einen die kleine blaue Zahnbürste von Nils mit Spider-Man-Aufdruck, in dem anderen ihre graugrüne.
Ich werde heute Abend sterben, dachte sie. Er wird mich totschlagen.
Diese Erkenntnis nahm ihr fast den Atem.
Als sie wieder die beiden Zahnbürsten musterte, rannen die Tränen ihre Wangen hinab.
Nein, ich kann nicht länger hier rumsitzen – ich muss mich verteidigen. Sie sah sich um. Aber womit? Konnte sie hier irgendetwas als Waffe benutzen?
Die Stange vom Duschvorhang? Ein gezielter Schlag damit würde ihn vielleicht aus dem Gleichgewicht bringen.
Magdalena stellte sich auf die Toilette und packte die Stange, um sie loszumachen. Sie saß entschieden fester, als sie vermutet hatte.
Das Hämmern gegen die Tür hörte auf. Stattdessen verschwanden die Schritte die Kellertreppe hinunter.
Was macht er jetzt? Wenn hier wenigstens ein Fenster wäre, durch das sie nach draußen klettern könnte! Vielleicht sollte ich mich rausschleichen, während er weg ist, dachte sie, aber in dem Moment kamen die Schritte schon wieder zurück.
Sie hörte ein kratzendes Geräusch und erstarrte.
Er schraubt die Klinke ab!
Magdalena zerrte immer noch an der Stange und hängte sich schließlich mit ihrem ganzen Gewicht daran, aber sie saß fest.
Als die Tür aufflog, stand auf dem Badewannenrand und umklammerte die Stange.
Nein!
Der Mann stürmte herein, zerrte Magdalena herunter und zog sie in den Flur, wo der Inhalt ihrer Handtasche auf dem Boden verstreut lag.
Der Schrei blieb ihr im Hals stecken, kein Laut drang aus ihrer Kehle.
»Hast du Bilder von uns gemacht?«, fragte der Mann und setzte sich rittlings auf sie.
Magdalena antwortete nicht, konnte nicht.
Der Faustschlag in ihr Gesicht kam unerwartet. Der Schmerz schmeckte
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