Mädchen im Schnee
genau verstehst du nicht? Dass ich meinem Sohn eine stressfreie, schöne Kindheit im Grünen ermöglichen will? Dass er rausgehen und mit seinen Freunden vor dem Haus Ball spielen kann, ohne Gefahr zu laufen, überfahren zu werden? Dass er auch, ehe er fünfzehn Jahre alt ist, allein von der Schule nach Hause gehen kann?«
Ludvig schüttelte den Kopf.
»Die Wohnung in Kristineberg, die du gekauft hast, war doch total in Ordnung. Das ist doch eine gute Gegend.«
»Das kann man ja wohl nicht vergleichen.«
»Trotzdem solltest du einsehen, dass diese Kehrtwende ein bisschen schwer nachzuvollziehen ist. Du bist doch ein Stadtmensch, Magda.«
Magdalena antwortete nicht, und so fuhr Ludvig fort:
»Und was ist mit dir selbst? Was glaubst du, wie lange du es aushalten wirst, über geschlossene Dorfschulen und Hundeausstellungen und Rotkreuz-Sitzungen zu schreiben?«
»Jetzt hör aber auf. Ich schreibe lieber über Dinge, die mit dem Alltag der Menschen zu tun haben, als über Hollywood-Starlets und die neuesten Modetrends.«
»Wenn du meinst. Ist schließlich deine Karriere, die du ruinierst, aber das kommt mir alles nicht richtig durchdacht vor.«
»Deine Fürsorglichkeit ist wirklich rührend, Ludvig.«
»Du musst doch auch an Nils denken. Er wird jedes zweite Wochenende stundenlang in einem Bus sitzen müssen. Glaubst du, das wird ihm Spaß machen? Er ist erst sechs Jahre alt.«
Magdalena stand auf und rief zur Küchentür hinaus.
»Nils, Papa und ich sind fertig, jetzt fahren wir. Lauf und hol deine Jacke.«
Ludvig räusperte sich.
»Magda, ehe du fährst. Da ist – noch was, was ich dir erzählen wollte.«
»Ja?«
»Ebba und ich erwarten ein Kind.«
Magdalena stützte sich auf der Stuhllehne ab. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als würde sich der Küchenfußboden unter ihren Füßen absenken.
»Was sagst du da?«, flüsterte sie.
»Ebba ist schwanger. Im April kriegt Nils ein Geschwisterchen.«
Magdalena ging in den Flur hinaus. Ihre Arme waren bleischwer und steif, und als sie versuchte, die Stiefel an zuziehen, schienen ihre Hände jemand anders zu gehören. Sie sah die Finger, die versuchten, den Reißverschluss zu greifen und hochzuziehen. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel gegen eine der Schranktüren, doch als sie Ludvigs Hand auf ihrem Oberarm spürte, riss sie sich los.
»Lass mich!«
Ludvig wirkte fast ein wenig besorgt.
»Ich verstehe ja, dass das hart für dich ist …«, setzte er an.
»Du glaubst, dass du dich kümmerst und dass du viel verstehst, aber in Wirklichkeit hast du von nichts eine Ahnung. Du sagst, ich würde nur an mich selbst denken, aber was ist denn mit dir? Du bist ein egoistischer Scheißkerl!«
Die Tränen rannen ihr schon den Hals hinunter, bis sie die Tür aufbekam und die zwei Koffer von Nils ins Treppenhaus schob. Sie waren so schwer, dass sie sie kaum anheben konnte.
»Komm, Nils, jetzt fahren wir.«
Nils zog sich bedächtig die Spiderman-Mütze über den Kopf und schaute hin und her zwischen Magdalena mit den Koffern und Ludvig, der nervös neben der Garderobe stand.
»Ich kann dir tragen helfen«, murmelte Ludvig. »Wo hast du das Auto?«
»Wir kommen schon allein klar, nicht wahr, Nils? Und du geh meinetwegen zum Teufel!«
Magdalena knallte die Tür zu. Nils sah sie schweigend an. Sein Kinn zuckte, wie immer, wenn er gleich anfing zu weinen.
Magdalena schluckte. Ich muss lernen, mich zusammenzureißen, dachte sie. Egal, was passiert. Ich bin eine schlechte Mutter.
Als sie im Erdgeschoss aus dem Fahrstuhl gestiegen waren und Magdalena die Koffer rausgezerrt und die Türen geschlossen hatte, nahm sie Nils auf den Arm. Er versteifte sich zunächst, entspannte sich dann aber immer mehr, als sie ihn hin und her wiegte.
»Es tut mir leid, mein Kleiner. Natürlich kriegst du Angst, wenn ich so wütend und traurig bin.«
Nils antwortete nicht, sondern schlang nur seine Arme etwas fester um ihren tränennassen Hals.
Magdalena setzte sich mit Nils auf dem Schoß auf eine der Treppenstufen vor dem Eingang. Dort blieben sie lange sitzen, ohne etwas zu sagen.
»Du, übrigens«, sagte Magdalena schließlich, »ich habe im Auto eine Überraschung für dich. Eine echt schöne Überraschung.«
Nils wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und sah sie an.
»Ein Weihnachtsgeschenk?«
»Nein – die Weihnachtsgeschenke sind zu Hause. Das hier ist ein zusätzliches Geschenk, könnte man sagen. Wollen wir?«
Nils nickte und schob seine Hand in
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