Maedchenauge
geschmückte Altbauten geklotzt worden war. Wo der erste Bezirk abrupt endete und den Durchzugsstraßen Platz machte, hatten Magdalenas Eltern eine Garconniere für sie gemietet, als sie von Salzburg nach Wien übersiedelte. Anfangs bloß als Provisorium gedacht, hatte sich diese Lösung bald als ideal erwiesen. Einen Umzug in eine Wohngemeinschaft mit Studienkollegen hatte die pflichtbewusste Tochter deshalb nie ernsthaft erwogen. Sie besaß ihre eigene kleine Welt in der fremden Großstadt.
Einige Meter vom Hauseingang entfernt tastete sie in ihrer Handtasche nach dem Schlüsselbund. Das Tor war matt verglast, Licht drang nach draußen. Jemand musste die Beleuchtung im Treppenhaus eingeschaltet haben.
Magdalena war froh darüber. Zwar gefiel es ihr, so zentral zu wohnen. In der historischen Stadtmitte, mit all den alten Plätzen und Parks, den vielen Einkaufsmöglichkeiten, Theatern und Kaffeehäusern. Nur die Anonymität dieses Betongebäudes, dessen seelenlose und verwinkelte Korridore jegliche Hinweise auf die Existenz anderer Mieter schluckten, verstörte Magdalena gelegentlich.
Durch einen schmalen Flur ging sie zum Aufzug. Offenbar war zuletzt jemand genau in ihr Stockwerk gefahren. Nach kurzer Wartezeit stieg sie in die Kabine und drückte auf die entsprechende Taste. Mit lautem Getöse rumpelte der in die Jahre gekommene Lift hinauf in die fünfte Etage.
Als Magdalena aus dem Aufzug trat, wurde es schlagartig dunkel. Vorsichtig tastete sie sich bis zum Schalter, dessen matt leuchtendes Zentrum in der Dunkelheit nur schwer zu erkennen war. Grell flammten die Leuchtstofflampen wieder auf. Zugleich hörte sie ein dumpfes, wetzendes Geräusch. In der Annahme, dies sei die Aufzugstür gewesen, ignorierte sie es und wandte sich nach links.
Es waren noch sechs Meter bis zu ihrer Wohnungstür. Den passenden Schlüssel hielt sie fest in der Hand. Erneut vernahm sie das dumpfe Geräusch, ohne es exakt lokalisieren zu können.
Das müsse wohl, vermutete Magdalena, die Person sein, die vor ihr das Haus betreten hatte. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss. In diesem Moment empfand sie instinktiv das Bedürfnis, noch einmal in Richtung Aufzug zu schauen. Im Gegenlicht der Deckenbeleuchtung sah sie eine schwarze Gestalt, die sich als Silhouette wie ein Schattenriss vom schmutzigen Weiß der Wände abhob.
Die Gestalt war groß und verharrte reglos in ihrer Position, wie eine Schaufensterpuppe. Ein überraschend langer, spitz auslaufender Arm stand auf seltsame Weise vom Körper ab.
Magdalena überlegte, ob es sich um jemanden handelte, den sie kannte. Der Arm zog sie in seinen Bann. Ihre Augen richteten sich vor allem auf die spitze Hand. Ihr Blick wanderte zum Kopf, dessen Ausmaß sie erstaunte. Bis sie den Motorradhelm identifizierte. Auch die Hand verlor ihren Zauber. Ein großes und langes Messer war es, das sie so spitz wirken ließ.
Die Gestalt löste sich aus ihrer Starre. Wie in Zeitlupe bewegte sie sich vorwärts, die Körperhaltung blieb unverändert. In diesem Moment verstand Magdalena, was hier vorging.
Die Angst, die sie mit einem Mal erfasste, fror sie regelrecht ein. Magdalena wollte den Schlüssel im Schloss umdrehen, um in die rettende Wohnung zu flüchten, aber das gelang ihr nicht. Wie gelähmt war sie, obwohl sie ihren Gliedmaßen intensiv befahl, zu funktionieren. Sie öffnete ihren Mund, um zu schreien, doch aus ihrer Kehle drang nur ein dumpfes Krächzen, als hätte sich plötzlich alles in ihr versteinert. So stand sie da, während die in schwarzes Leder gekleidete Gestalt näher kam.
Magdalena wurde mit dem Rücken gegen die Wohnungstür gepresst. Die Hand mit dem Messer fuhr auf sie ein. Und gleich noch einmal.
Den Schmerz bemerkte Magdalena nicht sofort. Doch sie spürte das warme Blut, das aus ihrem Oberkörper strömte. Eine große, geradezu siedende Hitze erfüllte sie. Sie blickte auf den Motorradhelm und sah sich selbst in dessen Visier gespiegelt. Ihre panische Starre machte einer Art Krampf Platz. Die Hand der schwarzen Figur hob sich und stach erneut zu.
Magdalenas Gedanken rasten. Zugleich versuchte sie, Haltung zu bewahren. Sie wollte nicht nachgeben. Nicht schwach sein. Nicht zum Opfer werden. Nicht schon wieder.
Obgleich sie sich mit allen Kräften bemühte, schaffte sie es nicht, aufrecht stehen zu bleiben. Weitere Stiche trafen ihren Oberkörper, das Blut floss aus den Wunden und wurde von ihrem blauen Kleid aufgesaugt.
Schließlich krümmte sie sich nach unten.
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