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Maengelexemplar

Titel: Maengelexemplar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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Akzeptanz. Das Kind ist mal wieder in den Brunnen gefallen. Kein Grund mehr, ihm hinterherzubrüllen, dass es gefälligst vorsichtig mit den morschen Brettern sein soll. Jetzt müssen die Bergungsarbeiten beginnen.

»Eine Depression ist ein fucking Event!«
    Ja, das ist ein schmissiger Satz, den der Popstarpsychiater da sagt.
    Ich sitze in seiner Praxis, die eigentlich Frau Dr. Kleves Praxis ist, und starre auf seine Bionade.
    Er und ich, wir fangen bei null an, müssen aber schnellstmöglich auf hundert kommen, denn erst von da an ist eine Diagnose für mich vertrauenswürdig. Also bete ich in Stichpunkten das vergangene Jahr herunter, angefangen bei dem Verlust meiner Arbeit und mit meinem vor der Tür im Wartezimmer sitzenden Fast-Freund endend.
    »Sie nehmen also seit sechs Wochen keine Antidepressiva mehr und haben jetzt wieder Angstanfälle?«, fasst der Popstarpsychiater zusammen.
    »Ja. Und was ich von Ihnen wissen will, ist, warum. Hängen die Angstanfälle direkt mit dem Entzug zusammen, oder bedeutet es, dass ich ohne Tabletten eben Angst habe? Muss ich also die Tabletten wieder nehmen? Wenn ja, warum? Was ist los mit mir? Wie kann man mich wieder vollständig ganz machen?«
    Der Doktor wirkt amüsiert.
    »Nun, Frau Herrmann, erst mal eins nach dem anderen bitte. Ich kenne Sie noch nicht genug, um Ihnen zu sagen, was nicht in Ordnung ist, aber ich halte es nicht für Zufall, dass Sie Angstanfälle bekommen, seit Sie die Tabletten nicht mehr nehmen. Warum haben Sie die denn überhaupt abgesetzt?«
    »Na ja, weil ich sie schon ein ganzes Jahr lang genommen hatte und weil es mir gut ging und weil sich mein Leben stabilisiert hatte. Ich dachte, dass alles wieder in Ordnung ist, und stattdessen stellt sich heraus, dass ich ohne Tabletten ein Freak und nicht lebensfähig bin! Das ist doch alles Mist!«, und ich fange an, zu weinen.
    Der Popstarpsychiater sieht mich wie ein interessantes Tier an und macht sich Notizen in meine Akte.
    »Ich weiß einfach langsam nicht mehr, wer ich bin, wem in mir ich glauben kann. In mir fühlt sich alles ganz verknotet an!«, murmle ich unter Tränen.
    Der Doktor reicht mir Taschentücher und sagt fast verständnislos: »Was glauben Sie denn, wofür Knoten da sind? Sie halten Sachen zusammen! Es ist nicht immer sinnvoll, Knoten sofort zu lösen. Vielleicht müssen Sie ein bisschen verknotet bleiben, um sich zu schützen!«
    Da hat er ein schönes Bild gezeichnet, der neue Arzt. Ich denke ein wenig darüber nach und höre auf zu weinen. Es ist nicht nötig, alle Geister der Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft umgehend zu exorzieren?
    »Aber ich muss doch irgendwann mal anfangen, aufzuräumen«, werfe ich ein, »denn augenscheinlich ist doch irgendetwas ganz entscheidend nicht in Ordnung, und die Angstanfälle sind die Symptome dafür, und mit denen kann ich auf keinen Fall leben. Ich kann doch unmöglich den Rest meines Lebens Antidepressiva nehmen!«
    »Warum nicht?«, fragt der Popstarpsychiater provokant und nippt an seiner Holunderbrause.
    »Weil ich damit doch nur die Symptome behandle, nicht die Ursache! Ich will aber die Ursache wissen und ausmerzen, sodass ich wieder ganz alleine gut leben kann!«
    Der Arzt wirkt plötzlich ärgerlich: »Frau Herrmann, ich finde es durchaus löblich, dass Sie keine Tabletten nehmen wollen. Glauben Sie mir, ich habe Patienten, die würden alles für eine höhere Tablettendosis geben. Aber wenn Sie Tabletten gegen Bluthochdruck oder Herzprobleme nehmen müssen, hinterfragen Sie deren Wirkung und Dosierdauer auch nicht, sondern Sie nehmen sie einfach, weil sie Ihnen helfen. Ich verstehe nicht, weshalb die Menschen bei psychischen Problemen nicht die gleiche Hilfe in Anspruch nehmen. Da wollen immer alle von allein funktionieren. Das erwarten Sie von Ihrem Blutdruck doch auch nicht!«
    Na, da hat er mir aber ordentlich den Kopf gewaschen. Aber so schnell gebe ich nicht auf, mit nassen Haaren bringe ich zumindest noch ein letztes Aber vor: »Aber das fühlt sich irgendwie falsch an. Wie Verdrängung. Während die Tabletten mir vorgaukeln, dass es mir gut geht, braut sich heimlich in mir der ganze ungelöste Scheiß zu einem sehr heißen Süppchen zusammen, das mir irgendwann siedend aus den Ohren geschossen kommen wird. Wissen Sie, was ich meine?«
    Der Popstarpsychiater verdreht die Augen. »Ich sage ja auch nicht, dass Sie für den Rest Ihres Lebens Antidepressiva nehmen müssen, aber ich halte es für keine gute Idee, damit

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