Maenner weinen nicht
Mit Hilfe einer psychotherapeutischen Begleitung lernen Betroffene, das eigene Leben zu verändern und Konflikte zu bearbeiten.
Die verkannte Krankheit
Lange galt die Depression als Erkrankung der Frauen: Sie sollen zwei bis drei Mal häufiger an einer Depression erkranken. Doch das bezweifeln Experten wie der Bayreuther Psychiater Manfred Wolfersdorf: »Die Depressionsrate bei Männern wird völlig unterschätzt«, glaubt der Forscher und Therapeut. Dafür sprechen zahlreiche Gründe: Wie bei Andreas Biermann und seiner Leidenschaft fürs Pokern zeigen Männer häufiger untypische Symptome, sodass ihre Erkrankung unerkannt bleibt. Sie gehen seltener zum Arzt und sind Therapien und Behandlungen gegenüber weniger offen. Und noch ein Fakt spricht dafür, dass Männer viel häufiger depressiv sind, als es Untersuchungen bisher erfasst haben: Männer bringen sich im Vergleich zu Frauen dreimal häufiger um. Da der Großteil dieser Selbsttötungen aufgrund von Depressionen erfolgt, dürfte die Dunkelziffer an depressiven Männern also viel höher als bisher angenommen sein.
Eine ganze Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen untermauern die Vermutungen des Bayreuther Experten Wolfersdorf. So war die Depressionsrate von Männern und Frauen in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde gleich groß, wenn den Männern wegen ihres Glaubens Alkohol, Drogen oder der Suizid verboten waren. Das gleiche Phänomen zeigte sich bei den Amischen. Bei dieser in den USA lebenden, ursprünglich aus der Schweiz stammenden Glaubensgemeinschaft mag noch ein weiterer Umstand eine Rolle spielen. Hier sind die Geschlechterrollen klar verteilt: Die Frauen kümmern sich um Haushalt, Kinder und Familie, die Männer sorgen für das Einkommen. Depressiv werden Männer wie Frauen, und zwar gleich häufig. Der Idealismus dieser Gemeinschaft lässt wenig Raum für Individualität und Selbstverwirklichung. Und selbst in unserer westlichen Gesellschaft gleichen sich die Zahlen unter bestimmten Bedingungen an: Rechnet man soziale Eigenschaften wie Kinder, Zivilstand und Arbeitssituation heraus, die gleichzeitig typische Risikofaktoren für eine Depression sind, dann erkranken Männer sogar häufiger.
Und auch die Ärzte selbst tragen dazu bei, dass sich die Zahlen zwischen Männern und Frauen so stark unterscheiden: Obwohl Männer und Frauen in einer Untersuchung der WHO identische Symptome beschrieben, diagnostizierten sie bei den Männern seltener eine Depression. Und Ärzte verschreiben den Männern wegen ihrer eher untypischen Symptome seltener Antidepressiva. Weil die Frauen klagsam, traurig und niedergeschlagen sind, sitzt der Rezeptblock offenbar lockerer.
Prozentualer Anteil der wichtigsten Krankheitsarten an den AU-Tagen; Quelle: DAK
Die kranke Gesellschaft
Nicht nur Wissenschaft und Weltgesundheitsorganisation schlagen Alarm. Auch in den jährlichen Zählungen der Krankenkassen nehmen Depressionen und Angststörungen seit Jahren unter Männern und Frauen in jedem Alter vordere Plätze ein – mit steigender Tendenz. »Bereits heute sind depressive Episoden eine der häufigsten Ursachen dafür, dass Männer nicht mehr arbeiten können«, sagt Wolfersdorf.
Im DAK -Gesundheitsreport 2011 lagen die psychischen Erkrankungen nach den Skeletterkrankungen, Atemwegsproblemen und Verletzungen mit einem Anteil von 12,1 Prozent (+1,3 % im Vergleich zum Vorjahr) an vierter Stelle (siehe Abb. ☛ ). Die »depressive Episode« wiederum war die dritthäufigste Einzeldiagnose. Bei den Frühpensionierungen nehmen die psychischen Störungen sogar den ersten Platz in der Ursachenstatistik ein. Die Zahlen zeigen es: Die Patienten brauchen Therapien, die ihnen angemessen helfen. Doch die niedergelassenen Therapeuten und die Kliniken für stationäre Therapien sind diesem Ansturm schon jetzt nicht mehr gewachsen. »Die Patienten müssen bis zu sechs Monate auf einen ambulanten Therapieplatz warten«, sagt Wolfersdorf. Und das, obwohl Deutschland zu den Ländern mit den meisten Therapeuten gehört. Antidepressiva, Langzeit-Aufenthalte in Reha-Kliniken, Psychotherapieplätze – alle großen Krankenkassen wie TK , DAK oder AOK berichten über eine zunehmende Nachfrage.
Psychische Erkrankungen treten immer häufiger auf; Quelle: DAK
Schon der DAK -Gesundheitsreport 2008 widmete sich ganz den Männern: Sie waren im Jahr 2007 fast ein Fünftel mal häufiger wegen psychischer Probleme krankgeschrieben als noch im Jahr 2000 – und das, obwohl sie insgesamt seltener
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