Maenner weinen nicht
»Das ist genau in der Phase passiert, wo ich nicht mehr konnte und bei ihr Halt gesucht habe«, sagt Biermann in seinem Buch. Damals erlebte der leidenschaftliche Fußballer offenbar zum ersten Mal eine depressive Episode, ohne zu wissen, was ihn da wirklich quälte. Neben der Arbeitssituation begünstigen viele andere Gründe das Auftreten einer Depression bei Männern (modifiziert nach Marco Piccinelli):
fehlende Anerkennung im Job, Pensionierung, Arbeitslosigkeit
Beziehungsprobleme, Trennung oder Scheidung
Singleleben und soziale Isolation
(ungeplante) Schwangerschaft oder Geburt eines Kindes
körperliche Beschwerden (chronische Erkrankungen)
Diese Risikofaktoren stehen wiederum in engem Zusammenhang mit dem männlichen Rollenbild. Mit anderen Worten heißt das: Je stärker der Mann das männliche Rollenbild verinnerlicht hat, desto herber treffen ihn diese Situationen. Bringt der Mann eine entsprechende Veranlagung für eine Depression mit, steigt auch die Gefahr zu erkranken.
Untersuchungen haben ein weiteres Phänomen gezeigt: Je stärker Männer sich an männlichen Normen orientieren, desto seltener gehen sie zu medizinischen Vorsorgeuntersuchungen. Entsprechend schlecht steht es auch um ihre psychische Gesundheit. Geht es ihnen seelisch nicht gut, entwickeln diese stark an männlichen Rollenbildern orientierten Männer besonders häufig Symptome wie Alkoholmissbrauch, Aggressivität oder extreme Risikofreudigkeit und sind anfälliger für einen Suizidversuch.
Mann am Limit
Nach den negativen Erfahrungen mit seiner Gesundheit und den Frauen waren Frust und zunehmende Minderwertigkeitsgefühle bei Andreas Biermann vorprogrammiert. Was dann folgte, mag dem einen oder anderen Mann bekannt vorkommen: Biermann bleibt tagelang im Bett, fühlt sich komplett leer und handlungsunfähig. Eine innere Stimme trichtert ihm die Sinnlosigkeit seiner Situation, seines Lebens ein. Biermann entdeckt das Pokern. Andere Männer spülen ihren Kummer und Ärger mit Alkohol hinunter, stürzen sich in Affären und sportliche Exzesse. Plötzlich ist kein Berg zu hoch, kein Rennen zu lang, kein Wasser zu tief, um von den kreisenden Gedanken und Ängsten loszukommen. Der Experte kennt dafür trockene Worte: »Die Hilflosigkeit der Männer äußert sich häufig durch externalisiertes Verhalten oder Depressionsabwehrstrategien mit einem hohen Risiko für Selbst- und Fremdgefährdung«, sagt Wolfersdorf. Und meint: Männer gefährden in depressiven Phasen vermehrt sich und andere, indem sie risikoreicher leben. Noch einfacher gesagt: Geht es Männern beschissen, dann saufen, koksen, zocken sie, rasen durch die Gegend oder prügeln sich. Beim starken Geschlecht äußern sich Depressionen also mitunter ganz anders als bei Frauen, vor allem in den frühen Phasen der Erkrankung. Männer blenden durch ihre starke Fassade – und lenken dadurch sich und andere so erfolgreich von ihrer Erkrankung ab.
Jeder Zweite ist von Schlafproblemen betroffen; Quelle: DAK
Kriterien der Männerdepression
(modifiziert nach William Pollack)
vermehrter sozialer Rückzug, der oft verneint wird
berufliches Überengagement, das mit Klagen über Stress maskiert wird
Abstreiten von Kummer und Traurigkeit
zunehmend rigide Forderungen nach Autonomie (in Ruhe gelassen werden)
zunehmende Intensität oder Häufigkeit von Wutanfällen, Impulsivität
Hilfe von anderen nicht annehmen: das »Ich kann das schon allein«-Syndrom
ab- oder zunehmendes sexuelles Interesse
vermehrter bis exzessiver Alkohol- und/oder Nikotinkonsum, auch süchtig nach TV, Sport, Spiel etc.
ausgeprägte Selbstkritik, bezogen auf vermeintliches Versagen, Versagensangst
andere für eigene Probleme verantwortlich machen
verdeckte oder offene Feindseligkeit
Unruhe und Agitiertheit
»Da befiel Traurigkeit seine Seele und diese
suchte bald nach einer Entschuldigung dafür
im Zorn. Denn aus der Traurigkeit wird der Zorn
geboren, woher auch die Menschen mit ihrem
Stammvater her die Traurigkeit, den Zorn und
was ihnen sonst noch an Schaden bringt,
übernommen haben.«
(Erste geschlechtsspezifische Aspekte in
der Beschreibung der Melancholie von der
Äbtissin Hildegard von Bingen, 1098–1179,
aus Causae et curae )
Abgesehen davon reagieren depressive Männer auch mit ganz typischen Symptomen: Sie haben Appetit-, Schlaf- und sexuelle Störungen (siehe Abb. auf Seite 34), sie sind rasch erschöpft und fangen an zu grübeln. Sie fühlen sich hilf- und hoffnungslos. Der kommende Tag macht ihnen ebenso
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