Maerchen Fuer Kinder
Töchter der Luft haben auch keine ewige Seele, aber sie können durch gute Handlungen sich selbst eine schaffen. Wir fliegen nach den warmen Ländern, wo die schwüle Pestluft den Menschen tötet; dort fächeln wir Kühlung. Wir breiten den Duft der Blumen durch die Luft aus und senden Erquickung und Heilung. Wenn wir dreihundert Jahre lang gestrebt haben, alles Gute, was wir vermögen, zu vollbringen, so erhalten wir eine unsterbliche Seele und nehmen teil an dem ewigen Glücke der Menschen. Du arme, kleine Seejungfrau hast mit ganzem Herzen nach demselben, wie wir gestrebt, Du hast gelitten und geduldet, Dich zur Luftgeisterwelt erhoben, nun kannst Du Dir selbst, durch gute Werke nach drei Jahrhunderten eine unsterbliche Seele schaffen.«
Die kleine Seejungfrau erhob ihre verklärten Arme gegen Gottes Sonne, und zum erstenmal fühlte sie Thränen in ihren Augen. – Auf dem Schiffe war wieder Lärm und Leben, sie sah den Prinzen mit seiner schönen Braut nach ihr suchen; wehmütig starrten sie den perlenden Schaum an, als ob sie wüßten, daß sie sich in die Fluten gestürzt habe. Unsichtbar küßte sie die Stirn der Braut, lächelte ihn an, und stieg mit den übrigen Kindern der Luft auf die rosenrote Wolke hinauf, welche den Äther durchschiffte.
»Nach dreihundert Jahren schweben wir so in das Reich Gottes hinein!«
»Auch können wir noch früher dahin gelangen!« flüsterte eine Tochter der Luft. »Unsichtbar schweben wir in die Häuser der Menschen hinein, wo Kinder sind, und für jeden Tag, an dem wir ein gutes Kind finden, welches seinen Eltern Freude bereitet und deren Liebe verdient, verkürzt Gott unsere Prüfungszeit. Das Kind weiß nicht, wann wir durch die Stube fliegen, und müssen wir aus Freude über dasselbe lächeln, so wird ein Jahr von den dreihundert abgerechnet, aber sehen wir ein unartiges und böses Kind, so müssen wir Thränen der Trauer vergießen, und jede Thräne legt unserer Prüfungszeit einen Tag zu!«
Der unartige Knabe.
Es war einmal ein alter Dichter, so ein recht guter, alter Dichter. Eines Abends, als er zu Hause saß, entstand draußen ein schrecklich böses Wetter; der Regen strömte hernieder, aber der Dichter saß warm und gut bei seinem Ofen wo das Feuer brannte und die Äpfel zischten.
»Es bleibt kein trockener Faden auf den Armen, die bei diesem Wetter nicht zu Hause sind!« sagte er, denn er war ein guter Dichter.
»O, öffne mir! Mich friert und ich bin ganz naß!« rief draußen ein kleines Kind. Es weinte und klopfte an die Thür, während der Regen herabströmte und der Wind mit allen Fenstern klirrte.
»Du kleines Wesen!« sagte der alte Dichter, als er die Thür öffnete. Da stand ein kleiner Knabe, der war ganz nackt, und das Wasser floß aus seinen langen, gelben Locken. Er zitterte vor Kälte, wäre er nicht hereingekommen, hätte er in dem bösen Wetter sicher umkommen müssen.
»Du armer Junge!« sagte der freundliche Dichter und nahm ihn bei der Hand. »Komm' zu mir, ich werde Dich schon erwärmen! Wein und einen Apfel sollst Du haben, denn Du bist ein prächtiger Knabe!«
Das war er auch. Seine Augen sahen wie zwei klare Sterne aus, und obgleich das Wasser aus seinen gelben Locken herabfloß, ringelten sie sich doch. Er sah aus wie ein kleines Engelskind, war aber bleich vor Kälte und zitterte über den ganzen Körper. In der Hand trug er einen herrlichen Bogen, aber der war vom Regen ganz verdorben; alle Farben von den schönen Pfeilen liefen vom nassen Wetter in einander.
Der alte Dichter setzte sich an den Ofen, nahm den kleinen Knaben auf seinen Schoß, drückte das Wasser aus seinen Locken, wärmte ihm die Hände in den seinen und kochte ihm süßen Wein. Da erholte er sich und bekam rote Wangen, sprang auf den Fußboden nieder und tanzte rings um den alten Dichter herum.
»Du bist ein lustiger Knabe!« sagte der Alte. »Wie heißt Du?«
»Ich heiße Amor!« erwiderte er. »Kennst Du mich nicht? Dort liegt mein Bogen; glaube mir, damit schieße ich! Sieh, nun wird das Wetter draußen wieder gut, der Mond scheint.«
»Aber Dein Bogen ist verdorben!« sagte der alte Dichter.
»Das wäre schlimm!« sagte der kleine Knabe, nahm ihn auf und besah ihn. »O, der ist ganz trocken, der hat gar keinen Schaden gelitten; die Sehne sitzt ganz stramm; nun werde ich ihn probieren!« Dann spannte er ihn, legte einen Pfeil darauf, zielte und schoß dem guten, alten Dichter gerade ins Herz. »Siehst Du wohl, daß mein Bogen nicht verdorben
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