Maerchen Fuer Kinder
abgeliefert, denn da war noch Licht, aber er wollte nicht die übrigen Leute im Hause wecken und deshalb unterließ er es.
»Das muß recht warm sein, ein Paar solcher Dinger am Fuße zu haben!« sagte er. »Sie sind weich im Leder. Sie paßten gut an meine Füße. Wie ist es doch drollig in der Welt! Nun könnte der Leutnant sich in sein warmes Bett legen, doch sieh, ob er es thut! Da geht er im Zimmer auf und nieder; das ist ein glücklicher Mensch! Er hat weder eine Frau noch Kinder, jeden Abend ist er in Gesellschaft; wäre ich doch er, ja dann wäre ich ein glücklicher Mann!«
Indem er den Wunsch aussprach, wirkten die Galoschen, die er angezogen hatte, der Wächter ging in des Leutnants Sein und Wesen über. Da stand er oben im Zimmer und hielt ein kleines rosenrotes Papier zwischen den Fingern, worauf ein Gedicht stand, ein Gedicht des Herrn Leutnants selbst. Denn wer hat in seinem Leben nicht einmal einen dichterischen Augenblick gehabt, und schreibt man dann den Gedanken nieder, so hat man ein Gedicht. Hier stand geschrieben:
»O, wär' ich reich!«
»O wär' ich reich!« so wünscht' ich mir schon oft,
Als ich, kaum ellengroß, auf viel gehofft.
O, wär' ich reich! so würd' ich Offizier,
Mit Säbel, Uniform und Bandelier.
Die Zeit kam auch, und ich ward Offizier;
Doch nun und nimmer ward ich reich, ich Armer;
Hilf mir, Erbarmer!
Einst saß ich abends, lebensfroh und jung,
Ein kleines Mädchen küßte meinen Mund,
Denn ich war reich an Märchenpoesie,
An Gold dagegen, ach, so arm, wie nie –;
Das Kind nur wollte diese Poesie;
Da war ich reich, doch nicht an Geld, ich Armer;
Du weißt's, Erbarmer.
»O wär' ich reich!« so tönt zu Gott mein Fleh'n,
Das Kind hab' ich zur Jungfrau reifen seh'n,
Sie ist so klug, so hübsch, so seelengut;
O, wüßte sie, was mir im Herzen ruht,
Das große Märchen, – – wäre sie mir gut!
Doch bin zum Schweigen ich verdammt, ich Armer;
Du willst's, Erbarmer!
O, wär' ich reich an Trost und Ruhe hier,
Mein Leiden käme dann nicht auf's Papier.
Verstehst Du mich, Du, der ich mich geweiht,
So lies dies Blatt aus meiner Jugendzeit,
Ein dunkles Märchen, dunkler Nacht geweiht.
Nur finst're Zukunft seh' ich, ach, ich Armer!
Dich segne der Erbarmer!
Ja, solche Gedichte schreibt man, wenn man verliebt ist, aber ein besonnener Mann läßt sie nicht drucken. Leutnant, Liebe und Mangel, das ist ein Dreieck, oder, ebensogut, die Hälfte des zerbrochenen Würfels des Glückes. Das fühlte der Leutnant recht lebendig und deshalb legte er das Haupt gegen den Fensterrahmen und seufzte tief.
»Der arme Wächter draußen auf der Straße ist weit glücklicher als ich, er kennt nicht, was ich Mangel nenne; er hat eine Heimat, Frau und Kinder, die bei seiner Trauer weinen, sich bei seiner Lust freuen! O, ich wäre glücklicher, als ich bin, könnte ich in sein Wesen und Sein übergehen, mit seinen Forderungen und Hoffnungen durch dieses Leben wandeln! Ja, er ist glücklicher als ich!«
Im selben Augenblicke war der Wächter wieder Wächter, denn durch die Galoschen des Glückes war er in das Wesen und Sein des Leutnants übergegangen, aber da, wie wir sehen, fühlte er sich noch weniger zufrieden und zog gerade das vor, was er vor kurzem verworfen hatte. Also war der Wächter wieder Wächter.
»Das war ein häßlicher Traum!« sagte er, »aber drollig genug. Es war mir, als ob ich der Leutnant dort oben sei, und das war durchaus kein Vergnügen. Ich entbehrte die Frau und die Kinder, die mich halbtot küssen!«
Er saß wieder und nickte, der Traum wollte ihm nicht recht aus den Gedanken, die Galoschen hatte er noch an den Füßen. Eine Sternschnuppe gleitete über den Horizont.
»Da ging die!« sagte er, »doch was thut's, es sind ihrer noch genug. Ich hätte wohl Lust, die Dinger etwas näher zu betrachten, besonders den Mond, denn der kommt einem doch nicht unter den Händen fort. Wenn wir sterben, sagte der Student, für den meine Frau wäscht, fliegen wir von dem einen zum andern. Das ist eine Lüge, könnte aber recht hübsch sein. Könnte ich doch einen kleinen Sprung da hinauf machen, dann möchte der Körper gern hier auf der Treppe liegen bleiben!«
Sieh, es giebt nun gewisse Dinge in der Welt, die man auszusprechen sehr vorsichtig sein muß, aber doppelt vorsichtig muß man sein, wenn man die Galoschen des Glückes an den Füßen hat. Höre nur, wie es dem Wächter erging.
Wir kennen alle die Schnelligkeit der
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