Maerchen Fuer Kinder
wandten, neigte sie sich herab, schob die Federn beiseite, welche den Kopf bedeckten, und küßte ihn auf die geschlossenen Augen.
»Vielleicht war er es, der so hübsch vor mir im Sommer sang,« dachte sie. »Wieviel Freude hat er mir nicht gemacht, der liebe, schöne Vogel!«
Der Maulwurf stopfte nun das Loch zu, durch welches der Tag hereinschien, und begleitete dann die Damen nach Hause. Aber nachts konnte Däumelinchen gar nicht schlafen; da stand sie von ihrem Bette auf und flocht von Heu einen großen, schönen Teppich, den trug sie zu dem Vogel, breitete ihn über denselben und legte weiche Baumwolle, welche sie in der Stube der Feldmaus gefunden hatte, an die Seiten des Vogels, damit er in der kalten Erde warm liegen möge.
»Lebe wohl, Du schöner, kleiner Vogel!« sagte sie. »Lebe wohl und habe Dank für Deinen herrlichen Gesang im Sommer, als alle Bäume grün waren und die Sonne warm auf uns herabschien!« Dann legte sie ihr Haupt an des Vogels Brust, erschreckte aber zugleich, denn es war gerade, als ob drinnen etwas klopfte. Das war des Vogels Herz. Der Vogel war nicht tot, er lag nur betäubt da und war nun erwärmt worden und bekam wieder Leben.
Im Herbst fliegen alle Schwalben nach den warmen Ländern fort; aber ist da eine, die sich verspätet, so friert sie so, daß sie wie tot niederfällt, liegen bleibt, wo sie hinfällt, und der kalte Schnee sie bedeckt.
Däumelinchen zitterte heftig, so war sie erschrocken, denn der Vogel war ja groß, sehr groß gegen sie, die nur einen Zoll lang war; aber sie faßte doch Mut, legte die Baumwolle dichter um die arme Schwalbe, und holte ein Krausemünzblatt, welches sie selbst zum Deckblatt gehabt hatte, und legte es über den Kopf des Vogels.
In der nächsten Nacht schlich sie sich wieder zu ihm, und da war er nun lebendig, aber ganz matt, er konnte nur einen Augenblick seine Augen öffnen und Däumelinchen ansehen, die mit einem Stück faulen Holzes in der Hand, denn eine andere Laterne hatte sie nicht, vor ihm stand.
»Ich danke Dir, Du niedliches, kleines Kind!« sagte die kranke Schwalbe zu ihr. »Ich bin herrlich erwärmt worden; bald erhalte ich meine Kräfte zurück und kann dann wieder draußen in dem warmen Sonnenschein herumfliegen!«
»O,« sagte Däumelinchen, »es ist kalt draußen, es schneit und friert! Bleib in Deinem warmen Bette, ich werde Dich schon pflegen!«
Dann brachte sie der Schwalbe Wasser in einem Blumenblatt, und diese trank und erzählte ihr, wie sie ihren einen Flügel an einem Dornbusch gerissen und deshalb nicht so schnell habe fliegen können, als die andern Schwalben, welche fortgeflogen seien, weit fort nach den warmen Ländern. So sei sie zuletzt zur Erde gefallen. Mehr wußte sie nicht, und auch nicht, wie sie hierher gekommen war.
Den ganzen Winter blieb sie nun da unten, Däumelinchen pflegte sie und hatte sie lieb, weder der Maulwurf noch die Feldmaus erfuhr etwas davon, denn sie mochten die arme Schwalbe nicht leiden.
Sobald das Frühjahr kam und die Sonne die Erde erwärmte, sagte die Schwalbe Däumelinchen Lebewohl, die das Loch öffnete, welches der Maulwurf oben gemacht hatte. Die Sonne schien herrlich zu ihnen herein und die Schwalbe fragte, ob sie mitkommen wolle, sie könnte auf ihrem Rücken sitzen, sie wollten weit in den grünen Wald hineinfliegen. Aber Däumelinchen wußte, daß es die alte Feldmaus betrüben würde, wenn sie sie verließe.
»Nein, ich kann nicht!« sagte Däumelinchen.
»Lebe wohl, lebe wohl, Du gutes, niedliches Mädchen!« sagte die Schwalbe und flog hinaus in den Sonnenschein. Däumelinchen sah ihr nach und das Wasser trat ihr in die Augen, denn sie war der armen Schwalbe von Herzen gut.
»Quivit, quivit!« sang der Vogel und flog in den grünen Wald. Däumelinchen war recht betrübt. Sie erhielt gar keine Erlaubnis, in den warmen Sonnenschein hinauszugehen. Das Korn, welches auf dem Felde, über dem Hause der Feldmaus gesäet war, wuchs auch hoch in die Luft empor; das war ein ganz dichter Wald für das arme, kleine Mädchen, das nur einen Zoll lang war.
»Nun sollst Du im Sommer Deine Aussteuer nähen!« sagte die Feldmaus zu ihr; denn der Nachbar, der langweilige Maulwurf in dem schwarzen Samtpelze, hatte um sie gefreit. »Du mußt sowohl Wollen-wie Leinenzeug haben, denn es darf Dir an nichts fehlen, wenn Du des Maulwurfs Frau wirst!«
Däumelinchen mußte auf der Spindel spinnen, und die Feldmaus mietete vier Spinnen, welche Tag und Nacht für sie spannen und
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