Maerchen Fuer Kinder
grinsten mit allen ihren Zähnen. »Wollen wir ihn prügeln?« sagten sie, »wollen wir ihn dreschen? Er ist ein Königssohn!«
Aber er ging unverdrossen tiefer und tiefer in den Wald, wo die wunderbarsten Blumen wuchsen; da standen weiße Steinlilien mit blutroten Staubfäden, himmelblaue Tulpen, die im Winde funkelten, und Äpfelbäume, deren Äpfel ganz und gar wie große, glänzende Seifenblasen aussahen; wie mußten die Bäume im Sonnenlichte strahlen! Ringsum, um die schönsten, grünen Wiesen, wo Hirsch und Hindin im Grase spielten, wuchsen prächtige Eichen und Buchen, und war von einem der Bäume die Rinde gesprungen, so wuchsen Gras und lange Ranken in den Spalten; da waren auch große Waldstrecken mit stillen Landseen, worin weiße Schwäne schwammen und mit den Flügeln schlugen. Der Königssohn stand oft still und horchte, oft glaubte er, daß von einem dieser tiefen Seen die Glocke zu ihm herauf klinge, aber dann merkte er wohl, daß es nicht daher komme, sondern daß die Glocke noch tiefer im Walde ertöne.
Nun ging die Sonne unter, die Luft erglänzte rot wie Feuer, es wurde still im Walde, und er sank auf seine Kniee, sang seinen Abendpsalm und sagte: »Nie finde ich, was ich suche; nun geht die Sonne unter, nun kommt die Nacht, die finstere Nacht! Doch einmal kann ich die Sonne vielleicht noch sehen, bevor sie ganz hinter der Erde versinkt. Ich will dort auf die Klippen hinaufsteigen, ihre Höhe erreicht die der höchsten Bäume!«
Und er ergriff nun Ranken und Wurzeln und kletterte an den nassen Steinen empor, wo die Wasserschlangen sich wanden, wo die Kröten ihn gleichsam anbellten; aber hinauf kam er, bevor die Sonne, von dieser Höhe gesehen, ganz untergegangen war. O, welche Pracht! Das Meer, das große, herrliche Meer, welches seine langen Wogen gegen die Küste wälzte, streckte sich vor ihm aus, und die Sonne stand wie ein großer, glänzender Altar da draußen, wo Meer und Himmel sich begegnen. Alles schmolz in glühenden Farben zusammen, der Wald sang und das Meer sang, und sein Herz sang mit, die ganze Natur war eine große Kirche, worin Bäume und schwebende Wolken die Pfeiler, Blumen und Gras die gewebte Samtdecke, und der Himmel selbst die große Kuppel bildeten. Dort oben erloschen die roten Farben, indem die Sonne verschwand, aber Millionen Sterne wurden angezündet, da glänzten Millionen Diamantlampen, und der Königssohn breitete seine Arme gegen den Himmel, gegen den Wald und gegen das Meer aus, und da kam plötzlich, von dem rechten Seitenwege, der arme Knabe mit den kurzen Ärmeln und den Holzschuhen; er war ebenso zeitig angelangt, er war auf seinem Wege dahingekommen, und sie liefen einander entgegen und hielten sich bei den Händen in der großen Kirche der Natur und der Poesie, und über ihnen ertönte die unsichtbare, heilige Glocke, selige Geister umschwebten diese zu einem jubelnden Hallelujah!
Der böse Fürst.
Es war einmal ein böser und übermütiger Fürst, der nur darauf sann, alle Länder der Erde zu erobern und durch seinen Namen Furcht einzuflößen. Er fuhr umher mit Feuer und Schwert; seine Soldaten zertraten das Korn auf den Feldern, sie zündeten des Bauern Haus an, sodaß die Flamme die Blätter von den Bäumen leckte und die Frucht gebraten von den versengten Bäumen herabhing. Manche arme Mutter verbarg sich mit ihrem nackten Säugling hinter den rauchenden Mauern und die Soldaten suchten sie und wenn sie dieselbe und das Kind fanden, so begann ihre teuflische Freude; böse Geister konnten nicht ärger verfahren. Der Fürst aber meinte, es gehe wie es solle. Tag für Tag wuchs seine Macht, sein Name wurde von allen gefürchtet, und das Glück folgte ihm bei allen seinen Thaten. Von den eroberten Städten führte er große Schätze heim; in seiner Königsstadt wurde ein Reichtum angehäuft, der an keinem andern Orte seinesgleichen fand. Nun ließ er prächtige Schlösser, Kirchen und Hallen bauen, und jeder, der diese Herrlichkeit erblickte, sagte: »Welch großer Fürst!« Sie gedachten aber nicht der Not, die er über andere Länder gebracht hatte, sie hörten nicht die Seufzer und den Jammer, der sich von den eingeäscherten Städten erhob.
Der Fürst betrachtete sein Gold, sah seine prächtigen Gebäude und dachte dann, gleich der Menge: »Welch großer Fürst, aber ich muß mehr haben, viel mehr! Keine Macht darf mir gleich, viel weniger größer genannt werden, als die meine!« Er begann Krieg mit allen seinen Nachbarn, und besiegte
Weitere Kostenlose Bücher