Maerchen Fuer Kinder
den gebrechlichen Schornstein! – Wie war doch das, und wie kam das in das Zimmer des Rittergutes?
Alle drei Sperlinge wollten über die Rosen und den Schornstein hinfliegen, aber ihr Flug wurde gehemmt, es war eine flache Wand, gegen die sie anflogen. Das Ganze war ein Gemälde, ein großes, prächtiges Stück, welches der Maler nach seiner kleinen Zeichnung gemacht hatte.
»Piep!« sagten die Sperlinge, »es ist nichts, es sieht nur so aus! Piep! Das ist das Schöne! Kannst Du das begreifen? Ich kann es nicht!« Und dann flogen sie davon, denn es kamen Menschen in das Zimmer.
Nun vergingen Jahr und Tag, die Tauben hatten vielmal gekurrt, um nicht zu sagen geknurrt, die boshaften Tiere. Die Sperlinge hatten den Winter über gefroren und den Sommer hindurch lustig gelebt; sie waren alle verlobt oder verheiratet. Junge hatten sie, und das eines jeden war natürlich das schönste und klügste von allen; der eine flog hierhin, der andere dorthin, und begegneten sie sich, dann erkannten sie sich gegenseitig am: »Piep!« und dem dreimaligen Kratzen mit dem linken Fuße. Die älteste von ihnen war nun ein altes Sperlingsfräulein, sie hatte kein Nest und auch keine Jungen; sie wollte gern einmal nach einer großen Stadt, und darum flog sie nach Kopenhagen.
Da lag ein großes Haus mit vielen Farben dicht beim Schlosse und am Kanal, wo sich Schiffe mit Äpfeln und Töpfen befanden. Die Fenster waren unten breiter als oben, und guckten die Sperlinge da hinein, so war eine jede Stube, wie es ihnen vorkam, gerade als ob sie in eine Tulpe hineinblickten, sie sahen alle möglichen Farben und Schnörkel; und mitten in der Tulpe standen weiße Menschen, die waren von Marmor, einige von ihnen waren auch von Gips, doch für Sperlingsaugen bleibt sich das gleich. Oben auf dem Hause stand ein Metallwagen mit Metallpferden davor, und die Siegesgöttin, auch von Metall, lenkte sie. Es war Thorwaldsens Museum.
»Wie das glänzt, wie das glänzt!« sagte das Sperlingsfräulein, »das ist sicher das Schöne. Piep! Hier ist es doch größer als ein Pfau!« Sie gedachte von ihrer Kindheit her, was das größte Schöne sei, welches ihre Mutter gekannt hatte. Und sie flog gerade in den Hof hinab; dort war es auch prächtig, da waren Palmen und Zweige an die Mauern gemalt, und mitten im Hof stand ein großer, blühender Rosenstrauch, der breitete seine frischen Zweige mit den vielen Rosen über ein Grab hin. Sie flog dorthin, wo mehrere Sperlinge gingen. »Piep!« und drei Kratze mit dem linken Fuß; diesen Gruß hatte sie manchesmal in Jahr und Tag gemacht, und keiner hatte ihn verstanden, denn die, welche einmal getrennt sind, treffen sich nicht an jedem Tage wieder. Dieser Gruß war ihr aber zur Gewohnheit geworden, und heute waren da zwei alte und ein junger Sperling, welche »Piep!« sagten und mit dem linken Fuße schabten.
»Ei, sieh, guten Tag, guten Tag!« Es waren drei alte aus dem Sperlingsneste und noch ein kleiner zur Familie gehörender. »Treffen wir uns hier?« sagten sie. »Das ist ein vornehmer Ort, aber hier ist nicht viel zu fressen. Das ist das Schöne! Piep!«
Da kamen viele Leute aus den Seitengemächern, wo die prächtigen Marmorgestalten standen, und sie gingen nach dem Grabe, welches den großen Meister barg, der die Marmorbilder gemacht hatte, und alle, die da kamen, standen mit leuchtendem Antlitz um Thorwaldsens Grab. Einzelne sammelten die abgefallenen Rosenblätter auf und bewahrten diese. Da waren Leute aus weiter Entfernung, sie kamen aus England, aus Deutschland und Frankreich; und die schönste Dame nahm eine der Rosen und barg sie an ihrem Busen. Da glaubten die Sperlinge, daß die Rosen hier regierten, daß das Haus ihretwegen gebaut sei, und das schien ihnen freilich etwas zu viel zu sein; da aber die Menschen alle viel Liebe für die Rosen zeigten, so wollten sie nicht zurückstehen. »Piep!« sagten sie, und fegten den Fußboden mit ihren Schwänzen und blinzelten mit dem einen Auge nach den Rosen; kaum sahen sie hin, so hatten sie sich überzeugt, daß es die alten Nachbarn seien, und das waren sie auch. Der Maler, welcher den Rosenstrauch neben dem alten, abgebrannten Bauernhofe zeichnete, hatte später gegen Ende des Jahres die Erlaubnis erhalten, denselben auszugraben, und hatte ihn dann dem Baumeister gegeben, denn schönere Rosen waren nirgends zu finden; der Baumeister hatte sie auf Thorwaldsens Grab gesetzt, wo sie, als Bild des Schönen, blühten und feine, rote, duftende Blätter gaben,
Weitere Kostenlose Bücher