Maerchen Fuer Kinder
die zur Erinnerung nach fernen Landen getragen wurden.
»Habt Ihr hier in der Stadt eine Anstellung erhalten?« fragten die Sperlinge. Und die Rosen nickten, sie erkannten die grauen Nachbarn und freuten sich, sie wieder zu sehen.
»Wie schön es doch ist, zu leben und zu blühen, alte Freunde und Bekannte zu sehen, und jeden Tag freundliche Gesichter zu erblicken! Hier ist es gerade, als ob jeder Tag ein großer, herrlicher Festtag wäre!«
»Piep!« sagten die Sperlinge, »ja, das sind die alten Nachbarn; ihrer Abstammung von dem Dorfteiche entsinnen wir uns. Piep! Wie die zu Ehren gelangt sind! Manche kommen auch im Schlafe dazu. Was an so einem roten Klumpen Schönes ist, weiß ich nicht! – Und da sitzt doch ein vertrocknetes Blatt, denn das sehe ich ganz genau!«
Dann pickten sie daran, bis das Blatt abfiel, und frischer und grüner stand der Strauch, und die Rosen dufteten im Sonnenschein auf Thorwaldsens Grab, an dessen unsterblichen Namen sich ihre Schönheit anschloß.
Die Glocke.
Des Abends in den schmalen Straßen der großen Stadt, wenn die Sonne unterging und die Wolken oben wie Gold zwischen den Schornsteinen glänzten, hörte häufig bald der eine, bald der andere einen sonderbaren Laut, wie den Klang einer Kirchenglocke, aber man hörte es nur einen Augenblick, denn da war ein starkes Rasseln von Wagen und störendes Rufen. »Nun läutet die Abendglocke!« sagte man, »nun geht die Sonne unter!«
Die, welche außerhalb der Stadt waren, wo die Häuser weiter von einander entfernt standen, mit Gärten und kleinen Feldern dazwischen, die sahen den Abendhimmel noch prächtiger und hörten den Klang der Glocke weit stärker, es war, als käme der Ton von einer Kirche tief aus dem stillen, duftenden Walde, und die Leute blickten dorthin und wurden ganz andächtig.
Nun verstrich längere Zeit. Der eine sagte zum andern: »Ob wohl eine Kirche draußen im Walde ist? Die Glocke hat doch einen eigentümlich herrlichen Klang, wollen wir nicht hinaus und sie näher betrachten?« Die reichen Leute fuhren und die Armen gingen, aber der Weg wurde ihnen erstaunlich lang, und als sie zu einer Menge Weidenbäume kamen, die am Rande des Waldes wuchsen, da lagerten sie sich und blickten zu den langen Zweigen hinauf und glaubten, daß sie nun recht im Grünen seien. Der Bäcker kam hinaus und schlug sein Zelt auf, und dann kam noch einer, er hing eine Glocke gerade über seinem Zelte auf und zwar eine Glocke, die geteert war, um den Regen aushalten zu können, aber der Klöppel fehlte. Wenn dann die Leute wieder nach Hause gingen, sagten sie, daß es wunderschön gewesen sei. Drei Personen versicherten, daß sie in den Wald hineingegangen seien bis dahin, wo er ende, und sie hatten immer den sonderbaren Glockenklang gehört, aber es war ihnen dort gerade, als wenn er aus der Stadt komme. Der eine schrieb ein ganzes Lied davon und sagte, daß die Glocke wie die Stimme einer Mutter zu einem lieben, klugen Kinde klinge, keine Melodie sei herrlicher, als der Klang der Glocke.
Der Kaiser des Landes wurde auch aufmerksam darauf und versprach, daß der, welcher ausfindig machen könne, woher der Schall komme, den Titel eines »Weltglöckners« haben solle, und das selbst, wenn es auch keine Glocke sei.
Nun gingen viele deswegen nach dem Walde, aber da war nur einer, der mit einer Art Erklärung zurückkehrte. Keiner war tief genug eingedrungen, und er ebenso wenig, aber er sagte doch, daß der Glockenton von einer sehr alten Eule in einem hohlen Baum herkomme, das sei eine Weisheitseule, die ihren Kopf fortwährend gegen den Baum schlage; aber ob der Ton von ihrem Kopfe oder dem hohlen Stamme komme, das könne er noch nicht mit Bestimmtheit sagen, und dann wurde er als Weltglöckner angestellt, und schrieb jedes Jahr eine kleine Abhandlung über die Eule; man war darum eben so klug als vorher.
Nun war es gerade ein Einsegnungstag; der Prediger hatte schön und innig gesprochen, die Kinder waren sehr bewegt gewesen, es war ein wichtiger Tag für sie, sie wurden aus Kindern mit einemmal zu erwachsenen Menschen, die Kinderseele sollte nun gleichsam in eine verständigere Person hinüberfliegen. Es war der herrlichste Sonnenschein, die Kinder gingen aus der Stadt hinaus, und vom Walde erklang die große unbekannte Glocke ganz besonders stark. Sie bekamen sogleich Lust, dahin zu gelangen, und zwar bis auf drei; ein Mädchen wollte nach Hause gehen und ihr Ballkleid anziehen, denn es war gerade das Kleid und der
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