Maerchen Fuer Kinder
Dich habe ich aus meinem Lande und Reich gejagt, und doch hast Du die bösen Geister von meinem Bette weggesungen, den Tod von meinem Herzen weggeschafft! Wie kann ich Dir lohnen?«
»Du hast mich belohnt!« sagte die Nachtigall. »Ich habe Deinen Augen Thränen entlockt, als ich das erste Mal sang, das vergesse ich nie; das sind die Juwelen, die ein Sängerherz erfreuen. Aber schlafe nun und werde stark, ich werde Dir vorsingen!«
Sie sang, und der Kaiser fiel in süßen Schlummer; mild und wohlthuend war der Schlaf!
Die Sonne schien durch das Fenster herein, als er gestärkt und gesund erwachte: keiner von seinen Dienern war noch zurückgekehrt; denn sie glaubten, er sei tot; aber die Nachtigall saß noch und sang.
»Immer mußt Du bei mir bleiben!« sagte der Kaiser. »Du sollst nur singen, wenn Du selbst willst, und den Kunstvogel schlage ich in tausend Stücke.«
»Thue das nicht,« sagte die Nachtigall, »der hat ja das Gute gethan, so lange er konnte, behalte ihn wie bisher. Ich kann nicht nisten und wohnen im Schlosse, aber laß mich kommen, wenn ich selbst Lust habe, da will ich des Abends dort beim Fenster sitzen und Dir vorsingen, damit Du froh werden könnest und gedankenvoll zugleich. Ich werde von den Glücklichen singen und von denen, die da leiden; ich werde vom Bösen und Guten singen, was rings um Dich her Dir verborgen bleibt. Der kleine Singvogel fliegt weit herum zu dem armen Fischer, zu des Landmanns Dach, zu jedem, der weit von Dir und Deinem Hofe entfernt ist. Ich liebe Dein Herz mehr als Deine Krone, und doch hat die Krone einen Duft von etwas Heiligem um sich. Ich komme und singe Dir vor! Aber eins mußt Du mir versprechen.«
»Alles!« sagte der Kaiser und stand da in seiner kaiserlichen Tracht, die er angelegt hatte, und drückte den Säbel, welcher schwer von Gold war, an sein Herz.
»Um eins bitte ich Dich; erzähle niemand, daß Du einen kleinen Vogel hast, der Dir alles sagt, dann wird es noch besser gehen!«
So flog die Nachtigall fort.
Die Diener kamen herein, um nach ihrem toten Kaiser zu sehen; ja, da standen sie, und der Kaiser sagte: »Guten Morgen!«
Fußnoten
1 Ist in der Ursprache doppelsinnig, da im Dänischen »gal« verrückt bedeutet.
Der Engel.
Jedesmal, wenn ein gutes Kind stirbt, kommt ein Engel Gottes zur Erde hernieder, nimmt das tote Kind auf seine Arme, breitet die großen, weißen Flügel aus und pflückt eine ganze Hand voll Blumen, welche er zu Gott hinaufbringt, damit sie dort noch schöner als auf der Erde blühen. Der liebe Gott drückt alle Blumen an sein Herz, aber der Blume, welche ihm die liebste ist, giebt er einen Kuß, und dann bekommt sie Stimme und kann in der großen Glückseligkeit mitsingen.
Sieh, alles dieses erzählte ein Engel Gottes, indem er ein totes Kind zum Himmel forttrug, und das Kind hörte wie im Traume; sie flogen über die Stätten in der Heimat, wo der Kleine gespielt hatte und kamen durch Gärten mit herrlichen Blumen.
»Welche wollen wir nun mitnehmen und in dem Himmel pflanzen?« fragte der Engel.
Da stand ein schlanker, herrlicher Rosenstock, aber eine böse Hand hatte den Stamm abgebrochen, sodaß alle Zweige, voll von großen, halbaufgebrochenen Knospen, rundherum vertrocknet hingen.
»Der arme Rosenstock!« sagte das Kind. »Nimm ihn, damit er oben bei Gott zum Blühen kommen kann!«
Und der Engel nahm ihn, küßte das Kind dafür, und der Kleine öffnete seine Augen zur Hälfte. Sie pflückten von den reichen Prachtblumen, nahmen aber auch die verachtete Butterblume und das wilde Stiefmütterchen.
»Nun haben wir Blumen!« sagte das Kind und der Engel nickte, aber er flog noch nicht zu Gott empor. Es war Nacht und ganz still; sie blieben in der großen Stadt und schwebten in einer der schmalen Gassen umher, wo Haufen Stroh und Asche lagen; es war Umzug gewesen. Da lagen Scherben von Tellern, Gipsstücke, Lumpen und alte Hutköpfe, was alles nicht gut aussah.
Der Engel zeigte in allen diesen Wirrwarr hinunter auf einige Scherben eines Blumentopfes und auf einen Klumpen Erde, der da herausgefallen war und von den Wurzeln einer großen, vertrockneten Feldblume, welche nichts taugte und die man deshalb auf die Gasse geworfen hatte, zusammengehalten wurde.
»Diese nehmen wir mit!« sagte der Engel. »Ich werde Dir erzählen, während wir fliegen!«
Sie flogen und der Engel erzählte:
»Dort unten in der schmalen Gasse, in dem niedrigen Keller, wohnte ein armer, kranker Knabe. Von seiner
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