Maerchen Fuer Kinder
ihre Blumen und all' ihr Spielzeug. Sie horchte, und da kam es ihr vor, als höre sie, daß drinnen in der Stube auf dem Klavier gespielt werde, aber ganz leise und so hübsch, wie sie es nie gehört hatte.
»Nun tanzen sicherlich alle Blumen drinnen!« sagte sie. »O, wie gern möchte ich es doch sehen!« aber sie wagte nicht aufzustehen, denn sonst weckte sie ihren Vater und ihre Mutter.
»Wenn sie doch nur hereinkommen möchten,« sagte sie; aber die Blumen kamen nicht und die Musik fuhr fort hübsch zu spielen. Da konnte sie es nicht mehr aushalten, denn es war allzuschön, sie kroch aus ihrem kleinen Bette hinaus, ging ganz leise nach der Thür und sah in die Stube hinein. Wie herrlich war das, was sie zu sehen bekam!
Es war gar keine Nachtlampe drinnen, aber doch ganz hell, der Mond schien durch das Fenster mitten auf den Fußboden, es war fast, als ob es Tag wäre. Alle Hyacinthen und Tulpen standen in zwei langen Reihen im Zimmer, es waren keine mehr am Fenster, dort standen die leeren Töpfe; auf dem Fußboden tanzten alle Blumen niedlich rings um einander herum, machten ordentlich Kette und hielten einander bei den langen, grünen Blättern, wenn sie sich herumschwenkten. Aber am Klavier saß eine große, gelbe Lilie, welche die kleine Ida bestimmt im Sommer gesehen, denn sie erinnerte sich deutlich, daß der Student gesagt hatte: »Wie gleicht sie dem Fräulein Line!« aber da wurde er von allen ausgelacht. Nun erschien es der kleinen Ida wirklich auch, als ob die lange, gelbe Blume dem Fräulein gleiche, und sie hatte auch dieselben Manieren beim Spielen, bald neigte sie ihr länglich gelbes Antlitz nach der einen Seite, bald nach der andern, und nickte den Takt zur herrlichen Musik. Niemand bemerkte die kleine Ida. Nun sah sie eine große, blaue Crocus mitten auf den Tisch hüpfen, wo das Spielzeug stand, gerade auf das Puppenbett zugehen und die Vorhänge zur Seite ziehen; da lagen die kranken Blumen, aber sie erhoben sich sogleich und nickten den andern zu, daß sie auch mittanzen wollten. Der alte Nußknacker, dem die Unterlippe abgebrochen war, stand auf und verneigte sich vor den hübschen Blumen. Diese sahen durchaus nicht krank aus, sie sprangen hinunter zu den andern und waren recht vergnügt.
Es war gerade, als ob etwas vom Tische herunterfiele, Ida sah dorthin, es war die Fastnachtsrute, welche heruntersprang, es schien auch, als ob sie mit zu den Blumen gehörte. Sie war auch sehr niedlich, und eine kleine Wachspuppe, die auch einen solchen breiten Hut auf dem Kopf hatte, wie ihn der alte Herr trug, saß oben drein. Die Fastnachtsrute hüpfte auf ihren drei roten Stelzfüßen mitten unter die Blumen, und trampelte ganz laut, denn sie tanzte Mazurka, und den Tanz kannten die andern Blumen nicht, weil sie so leicht waren und nicht so stampfen konnten.
Die Wachspuppe auf der Fastnachtsrute wurde auf einmal groß und lang, drehte sich über die Papierblumen herum, und rief ganz laut: »Wie kann man dem Kinde so etwas einbilden? Das sind dumme Luftschlösser!« und da glich die Wachspuppe dem alten Herrn mit dem breiten Hut ganz genau, sie sah eben so gelb und verdrießlich aus. Aber die Papierblumen schlugen ihn an die dünnen Beine, und da schrumpfte er wieder zusammen und wurde eine ganz kleine Wachspuppe. Das war recht hüsch anzusehen! Die kleine Ida konnte das Lachen nicht unterdrücken. Die Fastnachtsrute fuhr fort zu tanzen, und der alte Herr mußte mittanzen, es half ihm nichts, er mochte sich nun groß und lang machen oder die kleine, gelbe Wachspuppe mit dem großen, schwarzen Hut bleiben. Da legten die andern Blumen ein gutes Wort für ihn ein, besonders die, welche im Puppenbett gelegen hatten, und dann ließ die Fastnachtsrute es gut sein. Im selben Augenblick klopfte es ganz laut drinnen im Schubkasten, wo Idas Puppe, Sophie, bei viel anderm Spielzeug lag; der Nußknacker lief bis an die Kante des Tisches, legte sich lang auf seinen Bauch und begann den Schubkasten ein wenig herauszuziehen. Da erhob sich Sophie und sah ganz erstaunt rings umher. »Hier ist wohl Ball!« sagte sie; »warum hat mir das niemand gesagt?«
»Willst Du mit mir tanzen?« sagte der Nußknacker.
»Ja, Du bist mir der Rechte zum Tanzen!« sagte sie und kehrte ihm den Rücken zu. Dann setzte sie sich auf den Schubkasten und dachte, daß wohl eine der Blumen sie zum Tanzen auffordern werde, aber es kam keine. Dann hustete sie, hm, hm, hm! aber dennoch kam keine. Der Nußknacker tanzte ganz allein und nicht
Weitere Kostenlose Bücher