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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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zwielichtige Wesen fortfährt, Sie zu foppen. Es heißt, er sei mehr abwesend denn hier, alte Wunden seien nicht einmal mehr Narben, und die Liebe, die nicht ihresgleichen suchte auf den Hügeln zu beiden Seiten des Grundes, sei nur mehr ein Rauch.«
    »So, heißt es das?« erwiderte Leontine und sah vor sich hin. Einen Augenblick war nur das Ticken der Uhren zu hören. Dann hob die junge Frau die klaren graugrünen Augen und sah den Zwerg voll an. »Alles mag sein, wie es will«, sagte sie ernst. »Aber die Liebe, die nicht ihresgleichen sucht auf den Hügeln zu beiden Seiten des Grundes, ist nicht zu Rauch geworden. Freilich, auch sie ist wandelbar. Hast nicht auch du dich gewandelt, Adalbert?«
    »Ja, aber ist es gut? Ich war glücklich unter der Erde.« Er erhob sich. »Ich will dir etwas zeigen, und du sollst die erste sein, die es sieht.«
    Mit behenden Bewegungen ließ er die Vorhänge an den Fenstern herunter und achtete sorgfältig darauf, daß kein Lichtstrahl mehr eindrang. Nur das Waffeleisen glühte noch in der Dunkelheit. Die junge Frau fühlte sich unbehaglich, aber der Zwerg bewegte sich durch die Nachtschwärze mit solcher Selbstverständlichkeit, als sei heller Tag, hantierte am Schrank, Schlüssel klirrten, und Türen klappten. Schließlich erschien er, seltsam verwandelt. An der Stirn trug er, mit einem Band um den Kopf befestigt, eine kleine Lampe, die ein weißliches Licht verströmte. Sie war geformt wie ein Edelstein, und in ihrem Glanz gewann das von weißem Haar umflossene Antlitz des Zwergs eine urzeitlichen Hoheit, als trüge er eine Krone.
    »Das«, sagte er auf Leontines Frage, »ist eine jener Lampen, mit denen mein Volk unterm Berg zu arbeiten pflegt, wenn es Kristalle und edle Erze fördert. Aber nicht das wollte ich zeigen.« Er öffnete ein unscheinbares Kästchen. Auf dunklem Grund leuchteten ein paar knopfgroße gelblichweiße Juwelen von solcher Klarheit, daß die Frau einen Ausruf des Entzückens nicht unterdrücken konnte.
    »Nicht wahr«, sagte Adalbert, befriedigt von der Wirkung seines Schatzes, »viel schöner können die Silmaril, die Elbensteine, auch nicht geleuchtet haben. Es sind die Gaben der Tiefe, die unter den Wassern des Abgrunds schlummern. Lange bevor ich zum Hüter der Großen Uhr wurde, grub ich sie aus, gemeinsam mit meinem Volk. Damals warfen die Elben, mit denen wir vertraulicher lebten als späterhin, begehrliche Blicke auf diese Dinge, wie sie ja immer meinen, alles Schöne sei nur für sie da. Aber diesen Steinen, die man Gondril nennt, haftet eine Besonderheit an: Jeder Sonnenstrahl, der sie trifft, läßt sie schrumpfen. Unmerklich zunächst, verlieren sie an Größe. Es sind Kinder der Nacht. Würde sie jemand bei Tageslicht tragen wollen, wäre da bald nichts weiter als ein Tröpfchen, nicht größer als der Kopf einer Nadel, und wenn den die Sonne aufgeleckt hat, ist er geschwunden. Freilich besteht Hoffnung, wenn man den Tropfen rechtzeitig birgt und ins Nachtdunkel zurückbringt. Dann wächst er wieder zu voller Größe und Schönheit. Wir jedoch trauten dem Elbenvolk nicht soviel Verstand und Vorsicht zu, die Gondril zu hüten, und rückten sie nicht heraus; einer der Gründe für unsere alte Feindschaft. Aber deshalb zeige ich Ihnen diese Schätze nicht. Ich meine nur: Ist mein Leben nicht vielleicht wie dies hier, dahinschmelzend am Licht, das ich brauche, aber das mich verzehrt, geringer werdend unter der Sonne, die nicht mein Teil ist?«
    Er schwieg und starrte mit sorgenvollen Augen auf die Steine. Plötzlich begann seine Hand zu zittern. »Es sind nur sechs«, flüsterte er mit versagender Stimme. »Sechs Gondril statt sieben. Einer fehlt. Man hat mich bestohlen. Das Elbenpack hat mich bestohlen!«
    Langsam gewann seine Stimme wieder an Kraft. »Die Brut da unten, die ständig um mein Haus schleicht! Diebe! Diebe! Verfluchte Diebe!«
    Und der Zwerg stieß einen so markerschütternden Schrei aus, daß es Leontine vorkam, als tönten die unterirdischen Höhlen der Berge mit.
    Die Waldesschatten wurden länger. Immer noch streiften die Kinder, dank der Lembas von Müdigkeit verschont, durch das Gehölz. Sogar der kleine Rico hob die Beine munter wie ein junger Hund. Zuerst hatten sie sich durch halblaute Zurufe und Bemerkungen unterhalten, jetzt, da es Abend wurde, waren sie verstummt. Dunkle Himmelsröte ließ die Bäume erglühen. Der Goldgrund aus vorjährigen Buchenblättern, durchbrochen vom Grün der zarten Rehgräser, war wie ein

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