Märchen von den Hügeln
Adalbert jetzt wieder das Sonnenlicht einließ. »Seltsam«, sagte sie, »eigentlich sieht es hier genauso aus wie in unserer Wohnung. Warum sind Sie aus der Erde herausgestiegen, wenn Sie sich oben sozusagen nur eine Kopie hinstellen?«
Der Zwerg ignorierte die Bemerkung. »Nichts als Ärger und Hudelei mit Elben und Menschen!« warf er aufgebracht hin. »Wenn ich diese kleinen Monster fange . . .«
»Unterstehn Sie sich, meinen Kindern etwas zu tun!« fuhr Donna auf. »Damit Sie es ein für allemal wissen: An der Suche beteilige ich mich nicht Ihres Steinchens wegen, so schön es auch sein mag, sondern nur, um meine drei heimzuholen. Es wird bald dunkel, und im Wald ist es nicht geheuer. Wonach sie suchen, kann ich mir fast denken.«
»Ja, noch andere um ihr höchstes Gut zu bringen!«
Die Frau lachte auf. »Du liebe Zeit, ich habe wahrhaftig Sinn für dergleichen Tand, aber ihn als höchstes Gut zu bezeichnen -nein. Ich denke, sie suchen ein wahrhaft hohes Gut. Aber das verstehn Sie ohnehin nicht.«
Bevor Adalbert etwas entgegnen konnte, kam Leontine zurück, mit der Nachricht, die Clematis sei gerettet und sie selbst zum Aufbruch bereit.
»Mit dem Trampeltier von Pferd etwa?« fragte der Zwerg gereizt.
Aber Donna legte sich vernünftig ins Mittel. Der Braune könne ihnen unterwegs von Nutzen sein. Die Frage sei, merkte Leontine an, ob noch andere in die Suche einzubeziehen seien, etwa - sie zögerte - Dodo, der Jäger?
Adalbert lachte. Ob man denn nicht wisse, daß die Begleitung dieses Mannes sicheren Mißerfolg bedeute? Er habe noch nie etwas erjagt.
»Und Lindo?«
»Lindo ist zu einem internationalen Uhren-Kolloquium«, sagte Donna kurz, »und nicht greifbar. Mir reicht es, wenn er zum nächsten Auftritt von >Echsismus< zurück ist, um die Gören zu hüten.«
Leontine versagte sich ein Lächeln, hieß es doch, daß der leichtsinnige Halbelb jede Gelegenheit nutzte, außer Haus Abenteuer zu suchen.
Der Zwerg schloß sorgfältig ab und verbarg den Schlüssel in einer Ritze neben der Tür.
Donna beobachtete seine Zurüstungen mit unverhohlenem Spott und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Zumindest das Rätsel, wie meine Kinder in Ihr Haus gelangten, dürfte nun gelöst sein. Oder meinen Sie, die haben dies Versteck nicht längst entdeckt?«
Adalbert warf ihr einen wütenden Blick zu. Man brach auf. Abendröte und Mond begegneten sich am Himmel.
Als sie die Waldquelle erreichten, war es Nacht geworden. Leontine tränkte ihr Pferd; es hatte bisher die Hauptarbeit getan, indem es wieder und wieder einen großen Kreis um die anderen Suchenden abgeschritten hatte.
Ihre Stimmen waren heiser geworden vom Rufen. Von den Kindern keine Spur. Das Waldesdunkel war jetzt so drohend, daß sie kaum mehr wagten, die Stimmen zu erheben. Bis zur Quelle war zumindest Leontine die Gegend bekannt. Danach, so hieß es allgemein in den Hügeln, kam vieles, was man lieber bei Tageslicht erkunden sollte, wenn überhaupt. Man sprach von unheimlichen Gestalten, tückischen Sümpfen und Felsspalten.
Sie standen und sahen zur schwarzen Baumwand hinüber. Donna schlug plötzlich die Hände vors Gesicht und begann zu weinen.
»Ruf noch einmal!« sagte der Zwerg rauh zu Leontine.
Die junge Frau hob den Kopf und rief mit klingender Stimme: »Norman - Magelone - Federico!«
Der Schall zitterte, verzerrte sich im Nachklang, als höre man Donnas E-Gitarre. Leontine lauschte, fuhr zusammen und taumelte. »Habt ihr das gehört?« fragte sie beklommen. »Ganz deutlich rief es >zurück!< mit dumpfen Stimmen.«
Die beiden anderen sahen sich erstaunt an. Sie hatten keinen Laut vernommen außer den verwehenden Namen der Kinder.
»Wir dürfen nicht weiter«, erklärte Leontine bestimmt. Aber mit einem Blick auf das verweinte Gesicht der Drachenfrau fügte sie leise hinzu: »Wenn Donna es will, bin ich bereit, trotz des Rufs voranzugehen. Ihr bleibt besser hier. Ich habe ja mein Pferd.«
»Und deine Löwenseele, ja«, lispelte die andere trotzig. »Meinst du, ein Zwerg und eine Echse sind furchtsamere Geschöpfe als du? Wenn wir gehn, so gehn wir zusammen.«
»Streitet nicht«, unterbrach Adalbert, »und gesteht mir wenigstens zu, daß ich am besten im Finstern sehen kann. Was ihr noch nicht entdeckt habt: Dort schimmert ein Licht. Heißt es nicht, hier wohne Alonzo, der Hüter des Waldes, und ist es nicht gescheiter, ihn um Rat zu fragen, als blindlings ins Ungewisse zu tappen? Auch hat er vielleicht die kleinen Diebe
Weitere Kostenlose Bücher