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Maerchenerzaehler

Maerchenerzaehler

Titel: Maerchenerzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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plötzlich war ihr, als erinnerte sie sich an das Hecheln eines Hundes zwischen den Kiefern. Und plötzlich hörte sie Gitta wieder sagen: Glaub nicht alles. Gitta hatte Bertil nie gesagt, dass sie Anna hatte nach Ludwigsburg hinausfahren sehen, oh nein. Er war ihr gefolgt. Er war ihr damals zu Abels Wohnung gefolgt, jemand muss auf dich aufpassen, hatte er gesagt, und er war ihr weiter gefolgt, sie würde nie herausfinden, wohin überall. Er hatte ihr Angst gemacht, draußen, im Wald, um sie zu retten.
    Er hatte sie vorausgehen lassen, hatte sie ihr Rad durch den Schneesturm schieben lassen, lange, lange, bis sie erschöpft genug war, um sich aufsammeln zu lassen, hatte gewartet, gelauert … Deshalb war die Heizung im Auto nicht warm gewesen. Natürlich. Natürlich. Natürlich.
    Als sie aufwachte, war es schon spät am Vormittag. Sie musste geschlafen haben wie eine Tote. Vor dem Fenster im Garten lag kaum noch Schnee. Die Sonne schien auf eine neue, goldene Art. Sie beeilte sich mit dem Anziehen.
    Sie wusste, was sie tun würde. Jetzt gleich.
    Sie würde zum Elisenhain hinausfahren und nachsehen, ob die Buschwindröschen schon da waren. Und sie hatte das Gefühl, dass sie da wären. Dass sie auf sie warteten. Die Buschwindröschen und der Frühling. Sie würde einen Strauß aus winzigen weißen Blüten pflücken und bei Abel und Micha klingeln, und sie würden zusammen frühstücken und Abel und sie würden über alles sprechen. Seit sie ihn kannte, verliefen die Dinge in einem ständigen Pingpong, auf und ab, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, und dies war ein Tag für himmelhoch jauchzend. Ein Tag, um alles zu klären und zu erklären. Um über die Zukunft zu reden, eine Zukunft, in der er nicht mehr tun musste, was er bis jetzt getan hatte, um Geld zu verdienen, ganz gewiss nicht, und wenn sie ihm Magnus’ Geld um die Ohren hauen musste.
    Sie wusste eine Stelle, wo mehr Buschwindröschen wuchsen als irgendwo sonst, es war ganz nah bei der Stelle, an der im dichten Gestrüpp die Unsichtbaren wohnten, von denen Micha erzählt hatte. Sie würde Micha sagen, dass die Unsichtbaren mit dem Schnee getaut waren. Dass es sie im Frühling nicht gab.
    Es war längst Zeit für den Frühling. Dies war der zwölfte März.

17
    Michelle
    Der Wald blühte ja! Er blühte ja wirklich!
    Da war noch Schnee zwischen den hohen grauen Stämmen der Buchen, silbergrau, dachte Anna, aber zwischen den letzten weißen Flecken an Kälte gab es jetzt neue weiße Flecken, und einige wenige gelbe und violette. Sumpfdotterblumen, Leberblümchen und ihre Buschwindröschen natürlich, so ein langes Wort für so eine winzige Blume.
    Die Wege waren braun und matschig, sie sank an manchen Stellen bis zu den Knöcheln ein, ihre Stiefel saugten sich im Morast fest, und sie lachte. Der Winter war vorbei.
    Sie verließ den Weg, sie stieg mitten hinein in den Matsch und drehte sich mit ausgebreiteten Armen unter den Bäumen, sie sah den Saum ihres Wintermantels fliegen wie den Saum eines Kleides. In ihrem Rucksack steckten alle alten Cohen-Platten von Linda. Und die Flöte. Sie hatte Pläne. Sie hatte große Pläne.
    Micha konnte Flöte lernen, wenn sie wollte. Oder Klavier. Das Haus mit der blauen Luft war zu groß und die Wohnung in der Amundsenstraße im vierten Stock zu klein. Es könnte umgezogen werden. Und wenn Micha sich eingewöhnt hätte … Vielleicht ging Abel mit Anna zusammen weg, irgendwohin, irgendwohin zum Studieren, irgendwohin, wo keiner ihn kannte und wo keiner siekannte, und sie konnten Micha besuchen, immerzu. Sie würde ihn nicht zwingen, zu nichts, sie hatte versprochen, ihn zu nichts mehr zu zwingen. Aber jetzt, wo der Schnee taute, sah er vielleicht ein paar Dinge ein. Und morgen war er achtzehn. Ab morgen brauchte er keine Angst mehr zu haben, dass jemand ihm Micha wegnahm. Sie hoffte, dass es stimmte, was er glaubte. Sie hätte Magnus fragen können, Magnus wusste solche Dinge, doch sie hatte ihn nicht gefragt, aus Angst vor der Antwort. Nein, sagte sie sich, Abel wird recht haben. Ab morgen ist alles gut. Sie erreichen das Festland. Es ist schon so nah.
    Sie kam an einem Hochsitz vorbei, dessen vier hölzerne Stützen im Schlamm feststeckten wie die Beine eines riesigen Tieres, das nicht weiterkonnte, und plötzlich musste sie an Bertil denken. Dies war das Revier, in dem sein Vater jagte. Vielleicht hatte er vor Kurzem noch auf diesem Hochsitz gesessen, das Gewehr neben sich. Ließ sein Vater ihn schießen, obwohl

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