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Märchenerzähler

Märchenerzähler

Titel: Märchenerzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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der Zigarette. »Kann sein. Ist es wichtig?«
    »Ja«, antwortete Anna. »Es ist wichtig, dass du mir nichts gesagt hast. Danke. Aber ganz abgesehen davon ändert es nichts. Ich bin hier, weil ich ihn suche. Um ihm zu sagen, dass es nichts ändert.«
    »Jetzt sag bloß nicht Ich-liebe-ihn, sonst kommen mir die Tränen«, sagte Gitta, und dann umarmte sie Anna, die Zigarette in einer ausgestreckten Hand. Und ihr Gesicht dicht neben Annas schien tatsächlich nass zu sein.
    »Du hast ihn nicht gefunden, was?«, fragte sie, ihre Stimme ein wenig rauer als sonst.
    »Nein.«
    Gitta zeigte mit der Zigarette hinter sich, auf den eckigen schwarzen Klotz der nächtlichen Mensa. »Versuch’s mal da drin, m–, meine ich.«
    Versuch’s mal da drin, mein Kind. Sie hatte mein Kind sagen wollen, wie sie es immer sagte, seit Jahren. Sie hatte es nicht gesagt. Sie würde es, dachte Anna, nie mehr sagen. Die Dinge hatten sich geändert.
    Zuerst wollten sie sie nicht reinlassen, es gab Türsteher, sie wollten einen Ausweis sehen. Anna hatte keinen dabei, natürlich war sie achtzehn, lächerlich, sie suchte jemanden, verdammt, konnte sie jetzt durch? Nein, sie hatte keine mitgebrachten Getränke in ihrer Tasche, was war das für ein Aufstand? Sie legte die Hände kurz vors Gesicht, atmete tief durch und küsste einen der Türsteher auf die Wange. »Danke«, flüsterte sie. »Danke, dass du mich durchlässt.«
    Sie spürte den Blick, mit dem er ihr nachsah, er hatte nicht geplant, sie durchzulassen; sie verschwand im Gedränge schwitzender, sich aus Jacken heraus- und in Jacken hineinwindender Körper. Es gab nur einen einzigen Raum, in dem getanzt wurde, an der langen Theke herrschte Chaos, die alten Tische und Bänke an den Wänden waren belegt, besetzt, beschlagnahmt von Jacken, Gläsern, Bierflaschen, noch mehr Körpern. Sie brauchte eine Weile, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, die nur vom flirrenden Licht der Discokugel unterbrochen wurde. Die Musik war laut wie eine Baustelle, sie spürte den Bass in den Fußsohlen, in den Fingerspitzen, in den Haaransätzen. Die Umrisse der Körper im Raum schienen ineinanderzufließen, flimmerndes Schwarzlicht unterbrach und zerbrach die Bilder zu tausend Puzzlestücken, auf einer Bank knutschte ein Pärchen, das sie im nächsten Moment nicht mehr entdeckenkonnte; waren es nur zwei Jacken gewesen? Es war unmöglich, in diesem Durcheinander jemanden zu finden. Warum hatte Gitta gesagt, sie sollte es hier versuchen? War er hier? Hatte sie ihn gesehen? Warum war sie nicht mit Anna hereingekommen?
    Nein, dachte sie. Wenn sie ihn fand, musste sie ihn allein finden.
    Und dann fand sie ihn.
    Er saß ganz hinten in einer Ecke, an einem Tisch, auf dem sich ein Stapel aus Jacken und Pullovern türmte. Es war lächerlich, aber sie erkannte ihn an der schwarzen Mütze. Zuerst dachte sie gar nicht, dass er es war, es gab Dutzende von Leuten mit solchen Mützen. Aber als sie sich um den Tisch herumzwängte und sich neben ihn auf die Bank setzte, da war er es doch. Er saß nach hinten an die Wand gelehnt, nein, sitzen war eigentlich das verkehrte Wort, er hing vielmehr, und einen Moment lang dachte sie, er schlief. Er schlief nicht, seine Augen waren offen, starr auf die Tanzfläche und die vom Schwarzlicht zerhackten Bilder der Körper gerichtet. Die Walkmanstöpsel wirkten, als wären sie aus seinen Ohren gerutscht, als hätte er auch hier versucht, das weiße Rauschen oder die unbegreiflichen Worte des alten Kanadiers zu hören, aber aufgegeben. Er trug nicht nur die Mütze, sondern auch den Militärparka, obwohl es unerträglich warm war. Er hielt eine halb volle Bierflasche in der Hand.
    Sie legte ihre Hand auf seine, und erst, als sie das tat, bemerkte er sie. Er wandte den Kopf mit merkwürdiger Langsamkeit und etwas wie ein Lächeln tauchte auf seinem Gesicht auf. Es war ein bitteres Lächeln, bitter wie seine Stimme in Bertils verrauschter Aufnahme.
    »Na?«, sagte er, und sie beugte sich näher, um ihn trotz des Lärms zu verstehen. »Na, bist du gekommen, um mit dem Outlaw zu reden?« Etwas stimmte nicht mit seiner Stimme, es war nicht nur die Bitterkeit. »Das ist es doch, was?«, fuhr er fort. »Eine … eine schöne Geschichte. Die Prinzessin und der Outlaw. Der Underdog. Der Paria.« Er spuckte ihr die Worte ins Gesicht und jetzt lachte er. »Haben wir dafür keine deutschen Worte?«
    »Du bist es, der sich mit Worten auskennt, nicht ich«, antwortete Anna. »Und gerade jetzt redest du

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