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Märchenerzähler

Märchenerzähler

Titel: Märchenerzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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Frau, jemand, der das professionell macht und der kein Problem damit hat, sondern vielleicht sogar Spaß. Gerade im Film ist es nichts Negatives, oder? Dies hier ist etwas anderes. Es sind nur Männer, ältere Männer. Und wir reden von jemandem, der nicht schwul ist. Und ich weiß nicht, wann es angefangen hat. Vielleicht ist es eine ganze Weile her. Er ist siebzehn, Linda, wie ich … Es ist alles so verkehrt. Es ist gar nicht so schwer, die Zähne zusammenzubeißen, hat er gesagt, es ist gar nicht so schwer …«
    Linda machte einen Versuch, sie in die Arme zu nehmen, aber Anna stand auf und trat einen Schritt zurück.
    »Verzeih mir«, flüsterte sie. »Aber fass mich nicht an. Nicht jetzt. Ich muss ihn finden, Linda. Ich muss ihn irgendwo finden, aber ich weiß nicht mehr, wo ich suchen soll.«
    Sie stand lange oben in ihrem Zimmer am Fenster und sah den Tropfen draußen zu. Im Wald, dachte sie, würden jetzt die ersten Buschwindröschen unter dem Schnee aufblühen. Sie hatte Linda nichts von der Bootshalle erzählt, sie würde ihr nie etwas von der Bootshalle erzählen.
    Als es dunkel war, kam Linda herein, lautlos wie immer, beinahe unsichtbar.
    »Anna«, sagte sie. »Eines nur. Dein Vater … ich werde ihm das nicht erzählen. Und es ist vielleicht besser, du tust es auch nicht.«
    »Nein«, sagte Anna. »Ja. Danke. Linda, ich … ich werde jetzt gehen. Ich weiß nicht, wie viele Kneipen es in der Stadt gibt, aber ich muss es wenigstens versuchen. Vielleicht ist er irgendwo …«
    »Soll ich mitgehen?«, fragte Linda. Sie meinte es ernst. Anna schüttelte den Kopf. »Sag Magnus, ich bin mit Gitta weg.«
    Seltsam, dachte sie, als sie das Haus verließ. War es nicht sonst umgekehrt gewesen? Sag Linda, es geht mir gut, sag Linda, siebraucht sich nicht zu sorgen, lass uns Linda nichts davon sagen, sonst macht sie sich nur Gedanken. Kein Stein schien auf dem anderen zu bleiben, seit sie Abel kannte. Er ging noch immer nicht ans Telefon.
    Er war nicht da. Er war nirgendwo. Er hatte sich aufgelöst, in Nichts, in Luft, in Tauwasser.
    Sie war noch nie in einer Nacht in so vielen Kneipen gewesen. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es so viele gab. Studentenstadt, dachte sie. Sie würde niemals hier studieren, sie hatte es ohnehin nicht vorgehabt, aber an diesem Tag war es unmöglich geworden. Sie musste weg von hier, so bald wie möglich, weit weg.
    Sie bekam eine gewisse Übung darin, in eine Kneipe zu gehen und suchend auszusehen. Sie zwang sich, zu fragen. Man kannte ihn, natürlich. Da war etwas wie ein mitleidiges Lächeln in den Mundwinkeln von manchen, die sie fragte. Armes kleines Mädchen, stand in ihren Gesichtern geschrieben, was hast du dir da für ein Abenteuer ausgedacht? Sie fragte sich, wie viele von ihnen was wussten. Wusste die ganze Stadt mehr, als sie gewusst hatte? Jener Teil der Stadt, der abseits von steril abwaschbaren, gut ausgeleuchteten Schultischen lag, abseits von der blauen Luft und den Rotkehlchen in Gärten alter Häuser? Abseits der restaurierten, geleckten Fassaden?
    Es war nach zwei, als sie bei der Mensa ankam. Auch die Mensa hatte ein Nachtgesicht, samstags und donnerstags erwachte der Keller dort zum Leben, aber heute war Montag. Sie hörte die Musik auf der Straße. Sie mussten eine Party dort haben, irgendetwas außer der Reihe. Sie war müde. Sie wollte nach Hause. Sie wäre an der Mensa vorbeigegangen, aber jemand rief ihren Namen. Gitta. Undauf einmal war sie dankbar für Gittas Anwesenheit. Sie trieb durch die Nacht auf sie zu wie auf eine Rettungsboje.
    Gitta stand in ihren schwarzen Sachen in der schwarzen Nacht und rauchte. Neben ihr stand eine Handvoll anderer Raucher, die Anna nicht kannte. Gitta sagte etwas zu ihnen, legte einen Arm um Anna und ging ein Stück mit ihr beiseite.
    »Anna«, sagte sie. »Ich habe versagt. Ich war zu spät. Es tut mir leid.«
    Hatte sie Gitta doch nicht verloren? Hatte Gitta ihr verziehen, dass sie sie nicht in die Wohnung gelassen hatte, dass sie die Tür vor ihrer Nase geschlossen hatte, dass sie kaum noch mit ihr sprach?
    »Ach, das«, sagte Gitta. »Himmel, wir sind doch erwachsen genug. Heute … ach, Scheiße, ich hätte schneller sein müssen. Er hatte seinen letzten, salbungsvollen Satz gesagt, als ich ins Sekretariat kam. Ich habe ihn zu Boden geschlagen wie ein Kindergartenkind. Ich war so wütend. – Bist du nie wütend?«
    »Doch«, sagte Anna. »Oft. Zu oft. Du hast es gewusst, oder?«
    »Das mit Abel?« Sie zog an

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