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Märchenerzähler

Märchenerzähler

Titel: Märchenerzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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mehr, es gibt andere Orte, die jederkennt … die meisten fahren zum Parkplatz draußen an der B96. Verdammt weit mit dem Rad, aber es ist kein so schlechter Job, ab und zu. Es ist …«
    Er brach ab. Er tat, was er immer tat: Er legte die Hände vors Gesicht und atmete tief durch. Doch dazu musste er die Waffe loslassen. Sie lag jetzt neben ihm auf einer Ecke des Stuhls.
    Das war Annas Chance. Sie brauchte nur einen Schritt nach vorne zu machen, dachte sie, die Waffe zu nehmen – sie blieb stehen, wo sie stand.
    »Ich hasse sie«, sagte Abel, das Gesicht noch immer in den Händen. »Ich hasse sie alle. Jeden Einzelnen.«
    Er sah sie wieder an, hob die Waffe auf – Chance verspielt, Anna Leemann.
    »Marinke, dachte ich, wäre jemand, dem man einen Deal anbieten könnte«, sagte er. »Ich bin ihm gefolgt, meine Güte, wer geht schon nachts in Eldena spazieren? Es war beinahe, als forderte er es heraus. Vielleicht hat er das Abenteuer gesucht, abseits von seinem Schreibtisch, mit seiner Lederjacke und seinem Ich-verstehe-euch-ja-alle … Er wirkte verdammt schwul. Und er wirkte bestechlich. Dachte ich. Ich habe mich getäuscht. Ich habe ihm angeboten, mit ihm mitzugehen, umsonst, ich hätte alles getan, verstehst du, alles, damit er verspricht, uns in Ruhe zu lassen … Er hat mich nur angesehen, verächtlich, er hat vor mir ausgespuckt. So ist das also, hat er gesagt, auf dieser schlüpfrigen Ebene kann man wohl alles lösen? Vergiss es, mein Junge. Und wo wir schon dabei sind, was ist mit der Kleinen? Irre ich mich oder hast du deine Schwester ein wenig zu lieb? Das war der Moment, in dem ich entschieden habe, dass er sterben muss. Er hat wirklich geglaubt, dass ich Micha das antue. Es … es war leichter beim zweiten Mal. Wie mit der anderen Sache.Die Hemmschwelle sinkt. Wenn du einen Menschen erschießt, ist der zweite fast ein Spiel. Er war im Übrigen feige, er hat sich freiwillig umgedreht …« Er stockte. »Nein, das stimmt nicht«, sagte er. »Das ist gelogen. Es war nicht leichter.«
    Er krempelte seinen linken Ärmel hoch. Anna zählte neben der langen drei runde Narben. Eine mehr als beim letzten Mal.
    »Für jeden von ihnen eine«, sagte Abel leise. »Das sind die Narben des Mitleids. Ich musste irgendetwas tun, hinterher. Irgendetwas, das ich spüre, vielleicht gar nicht aus Mitleid, sondern damit ich weiß, dass ich tatsächlich trotz allem noch vorhanden bin … lächerlich, was? Wie ein Kind, das mit dem Kopf gegen die Wand rennt. Das ist Lierski. Und Marinke. Und das ist der Knaake.«
    »Der Knaake«, wiederholte Anna tonlos. »Warum, Abel? Warum hast du das getan?«
    »Er war dabei, die ganze Sache herauszufinden«, sagte er. »Er hat mir nachspioniert. Er hat einen Schritt zurück gemacht, auf das dünne Eis der Fahrrinne, um dem Schuss zu entgehen. Ich … ich habe nicht geschossen. Ich sah ihn einbrechen … ich habe die Feuerwehr gerufen, vom nächsten öffentlichen Telefon aus. Ich konnte das nicht mehr. Ich wollte nicht, dass er stirbt. Er war ein Verräter, aber ich mochte ihn. Ich … Himmel, ich hoffe so sehr, dass er es schafft, ich … ich wünschte …« Er verstummte.
    Einen Moment war es sehr still, die Stille hallte an den gefliesten Wänden des Badezimmers wider wie die Angst und der Schmerz eines kleinen Jungen vor langer Zeit.
    »Bertil?«, fragte Anna.
    »Was ist mit Bertil?«
    »Lebt er noch?«
    »Natürlich lebt er noch. Warum sollte ich Bertil etwas tun?«
    »Nach gestern …«
    »Du hast mich nicht verstanden, Anna. Es geht nicht um mich. Es geht um Micha. Bertil ist eine ganz andere Geschichte. Bertil war nie gefährlich für Micha. Wenn er angefangen hätte, die Wahrheit über die Morde herauszufinden … dann … aber es hat ihn gar nicht interessiert. Ihn hat nur die andere Sache interessiert und die hat er ja herausgefunden, Hut ab, ich war dumm, mit ihm zu reden. Aber ich bin müde, Anna. Ich kann nicht mehr.«
    »Und … Michelle?«
    »Michelle, Michelle. Mit ihr hat alles angefangen.«
    »Aber es gibt keine Narbe auf deinem Arm für Michelle. Oder ist das die lange Narbe? Aber die kam erst später …«
    »Die lange Narbe«, sagte Abel und lächelte wieder, »das bist du, Anna. Das, was in der Bootshalle passiert ist, war schlimmer als alles andere. Ich habe dir das angetan, was Lierski mir angetan hat. Ich wollte es nicht.« Er sah weg, sah die geflieste Wand an, an deren Muster er sich vielleicht schon als kleiner Junge mit den Augen festgehalten

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