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Märchenerzähler

Märchenerzähler

Titel: Märchenerzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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wenn sie so lang sind …«
    Er streckte die Hand aus und pflückte Abel die schwarze Wollmütze vom Kopf. Abel nahm sie ihm weg und sah ihn an. Mehr tat er nicht. Ihre Gesichter waren jetzt ganz nah, Bertil war ein wenig größer als Abel, aber nicht halb so breit. Es war ruhig geworden im Mittendrin.
    Auch Bertil bemerkte die Ruhe, er blickte sich um, er schien es zu genießen, dass alle ihm zuhörten, er wandte sich wieder Abel zu.
    »Wenn ich eine Waffe hätte«, sagte er, »würde ich dich erschießen. Wie mein Vater den Hund. Ein Schuss, Ende.«
    Da löste sich Abels steinerne Ruhe, er packte Bertil am Arm, und Anna sah, wie fest der Griff war, sie sah die Knöchel seiner linken Hand weiß hervortreten, sie hörte Bertil nach Luft schnappen.
    »Wenn du dich mit mir schlagen willst, Bertil Hagemann, dann tun wir das draußen«, sagte er leise.
    »Ja, dich schlagen, das kannst du«, zischte Bertil und starrte seinen Arm an. »Nur mit den Wo… den Worten ist es nicht … nicht so weit her, was? Aber so was gefällt den Mädchen vielleicht, wenn einer nichts sagt … vielleicht ist er ja gut im Bett, was, Anna? Erzäh… erzähl uns mal …«
    In diesem Moment schnellte Abels rechte Hand vor und gab Bertil eine Ohrfeige. Er hielt ihn mit der linken noch immer fest, und Anna sah, wie er ganz kurz das Gesicht verzog, als der Schmerz durch sein verletztes Handgelenk schoss.
    »So«, sagte Abel leise. »Gehst du jetzt mit mir raus oder soll ich dich tragen?«
    »Hennes«, sagte Gitta. »Mach was.« Anna hörte tatsächlich etwas wie Angst in Gittas Worten. Aber war das nicht ihre eigene Angst? »Wenn niemand Bertil zur Vernunft bringt«, sagte Gitta, »lässt er sich von Tannatek krankenhausreif schlagen.«
    Hennes stand auf und stellte sich neben Bertil. Sein rotblondes Haar leuchtete durch den Zigarettenqualm, er stand so aufrecht wie immer, trotz der zu vielen bunt gefüllten Gläser, trotz des Joints. Er legte Bertil eine Hand auf die Schulter.
    »Lass ihn los, Tannatek«, sagte er ruhig. »Wir kümmern uns um ihn. Er ist völlig blau. Er weiß nicht, was er sagt.«
    Abel gab Bertil frei und verschränkte die Arme.
    »Ich denke, das weiß er ganz gut«, sagte er. »Er ist ehrlicher als du, Hennes.«
    »Na…natürlich weiß ich …«, begann Bertil.
    »Sei still, Bertil«, sagte Hennes. Und dann, sehr laut und deutlich: »Ich glaube, Tannatek möchte jetzt gehen.«
    Er sah Abel in die Augen und Anna sah Abels Blick. Er war wieder zu Eis gefroren.
    »Ja, das glaube ich auch«, sagte der Typ, der im Mittendrin bediente, und dann zu Abel, den er offenbar ganz gut kannte: »Tu mir den Gefallen. Ich habe keine Lust, dich an die Luft zu setzen.«
    Abel holte einmal tief Luft, als wollte er etwas sagen. Doch dann drehte er sich schweigend um und ging.
    »So, und wenn er weit genug weg ist, schaffst du deinen Freund hier nach Hause«, sagte der Mittendrin-Typ zu Hennes. »Und sieh zu, dass er seinen Rausch ausschläft. Den will ich so schnell nicht mehr hier sehen, verstanden?« Hennes nahm die Hand von Bertils Schulter und Bertil sank plötzlich auf einem leeren Stuhl in sich zusammen.
    »Scheiße«, murmelte er, »ver…verdammte Scheiße!«
    »Das kannst du laut sagen«, sagte Anna. Sekunden später rannte sie draußen die Straße entlang, die gleiche Straße, die sie eben noch zusammen mit Abel entlanggegangen war. Sie holte ihn am Ende ein, kurz vor der Fußgängerzone.
    »Abel!«, rief sie, die Hand nach ihm ausgestreckt, aber in dieser Nacht hatten zu viele Leute die Hände nach anderen Leuten ausgestreckt, und er fuhr herum, hob beide Hände, abwehrend.
    »Fass mich nicht an!«
    »Ich … das wollte ich nicht!«, sagte Anna. »Ich wusste nicht, dass Bertil … dass er … so betrunken ist, und … es tut mir leid! Ich wollte nicht, dass alles so endet!«
    »Wir leben nicht mehr im Mittelalter, was?«, sagte Abel. »Und nicht in Indien. Es gibt keine Kasten. Haha.«
    »Aber der Typ vom Mittendrin hat Bertil genauso rausgeschmissen wie dich! Und er hat gesagt, er will ihn dort nicht wieder sehen! Natürlich gibt es keine Kasten! Alle Menschen sind gleich!«
    »Hörst du dir eigentlich selbst manchmal zu, wenn du solchen Unsinn redest?«, fragte Abel.
    »Nein«, sagte Anna. »Abel. Können wir nicht irgendwohin gehen, wo die anderen nicht sind? Wo es nichts und niemanden gibt? Keine Menschen, keine Kneipen, keine Schulhöfe, gar nichts. Nicht einmal Hochhäuser …«
    Er zögerte. Schließlich sagte er:

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