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Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)

Titel: Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni Tizian
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Staatsanwaltschaft, in dem diese Martino beschrieb. Der Unternehmer, Pate, Geschäftemacher. Ein Modellmafioso des dritten Jahrtausends. Mit einem Fuß im heiligen Tempel der ’Ndrangheta, mit dem anderen in der Kathedrale der Weltfinanzwirtschaft.

18.
DIE ’NDRANGHETA IST DA
    »Ich werd dich finden! Ich weiß, wo du wohnst! Ich werd dich verprügeln, wann immer ich dazu Lust habe!« Eigentlich ist es Roccos Aufgabe, Haftbefehle zuzustellen. Er ist Polizist in Bordighera, kennt sich aus mit Verbrechern. Aber dieses Mal treffen ihn die Drohungen. Sie graben sich tief in sein Bewusstsein ein, sie setzen ihm zu. Wer ihn da einzuschüchtern versucht, ist niemand geringeres als Roberto Pellegrino, einer der Gebrüder Pellegrino. Die Pellegrinos sind ein berüchtigter, polizeibekannter Clan, der seit einiger Zeit im Fokus der Anti-Mafia-Behörde steht.
    Ursprünglich stammen sie aus Seminara (bei Reggio di Calabria). Verwandtschaftliche Beziehungen verbinden sie mit Spitzenleuten der Organisierten Kriminalität an der Ligurischen Küste und mit dem Santaiti-Gioffrè-Clan. Nach einer kurzen Phase, während der sie auf dem Gebiet des Drogenhandels, der Waffen- und Dynamitschiebereien tätig waren, haben sich ihre Interessen mittlerweile auf die Bauwirtschaft, speziell Aushub und Erdarbeiten, verlagert. In kürzester Zeit haben sie verschiedene Baufirmen gegründet, mit welchen sie um öffentliche Ausschreibungen konkurrieren.
    Die Drohungen klingen noch in Roccos Kopf nach, verfolgen ihn bis nach Hause. Er war bisher davon überzeugt, dass so etwas in Ligurien nicht vorkommen könne. »Das hier ist ja nicht Kalabrien oder Kampanien«, sagte er zu seinen Freunden. Aber die ’Ndrangheta hat ihre traditionellen Grenzen längst überschritten. Das weiß Rocco zwar – Zeitungen und Fernsehsender haben darüber berichtet –, aber er hätte sich nie vorstellen können, dass ihn ein Mafioso persönlich bedrohen würde, weil Rocco ihm eine vom Staatsanwalt unterschriebene Vorladung überbringt.
    Rocco ist zunehmend besorgt. Tag für Tag wachsen seine Befürchtungen. Er weiß, dass die Brüder von Roberto Pellegrino frei herumlaufen. Der Clan hält zusammen. Rocco schrickt zusammen, als sein Handy klingelt. Es sind erst wenige Stunden seit der Verhaftung von Pellegrino vergangen. »Hallo?« Aber es ist nur sein Onkel Gianni. Er berichtet Rocco, dass einer von Pellegrinos Brüdern ihn angerufen habe. »Er hat mich bedroht und beleidigt. Ich soll dir sagen, dass er dich mit eigenen Händen umbringen wird, wenn man seinem Bruder auch nur ein einziges Haar krümmt. Dass er dafür gern in den Knast geht.«
    Die Beklommenheit von Rocco wird zu Angst. Kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn. Er überlegt, was er tun kann. Soll er Giovanni Pellegrino anrufen, wie ihm sein Onkel geraten hat? Oder soll er einfach weiterarbeiten, als ob nichts passiert wäre, als ob er keine massiven Drohungen erhalten habe? Er sucht verzweifelt nach einer Lösung und merkt gar nicht, dass er dabei zum ersten Mal seit Jahren wieder an seinen Nägeln kaut. Er nimmt sein Handy und wählt die Nummer, die ihm sein Onkel gegeben hat. Immerhin sind wir hier nicht in Kalabrien, denkt er sich und will sich damit beruhigen, die schreckliche Angst besiegen, die sich in ihm ausgebreitet hat und die seinen Magen wie eine eiserne Faust umklammert. »Hallo, spreche ich mit Giovanni Pellegrino?« Die zaghafte Stimme des Polizisten wird von lautstarken Beschimpfungen und Drohungen übertönt. Es ist ein kurzes Telefonat, aber lang genug, um dem Polizisten zu zeigen, dass die Mafia in seinem Heimatort Bordighera angekommen ist.
    Es ist Juni 2010. Fast ein Jahr ist seit der Verhaftung von Roberto Pellegrino wegen illegalen Waffenbesitzes und wegen der Bedrohung von Rocco vergangen. Morgendliches Zwielicht liegt über den Gassen von Bordighera. Die Stadt erwacht langsam. Sommerlich träge Wellen des Meeres schlagen verhalten an den Strand. Frankreich ist nur wenige Kilometer entfernt. Eine Stunde Fahrt, und man ist in der Provence mit ihren Düften, Farben, Früchten, dem Lavendel, dem entspannten Leben. Marseille. Cannes. Nizza. Bordighera ist teilweise Ligurien, teilweise aber auch schon Provence. Frühjahr und Sommer sind in Bordighera ein Kaleidoskop von Farben. Hier fehlen die für den Norden Italiens charakteristischen Klischees. Düfte, Gerüche, salzige Luft, Geräusche, Gastfreundschaft erinnern schon an die geographisch begünstigteren Mittelmeerländer.
    Aber

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