Mafia AG: Camorra, Cosa Nostra und 'Ndrangheta erobern Norditalien (German Edition)
Grundstück gefällt, wird eine methodische Vernebelungstaktik in Gang gesetzt. Eine kurze öffentliche Gewalttätigkeit wird das Verfahren begleiten, um die Wirtschaft gefügig zu machen und die Widerspenstigen des Nordens zu entmutigen. Aber das sind Kleinigkeiten, wenn man bedenkt, mit welchem Geschick es die ’Ndrangheta versteht, unsichtbare Netzwerke zu schaffen und darin Unternehmer wie Lokalpolitiker einzubinden.
Auf schmerzfreie Weise in die Lokalpolitik einzudringen, das ist die Standardvorgehensweise der ’Ndrangheta an der Riviera. Von Imperia und Bordighera bis nach Ventimiglia haben die Clans aus Reggio di Calabria in aller Stille den ultimativen Schlag vorbereitet. Jener, der es ihnen ermöglichen wird, ins Herz der Stadtverwaltung vorzustoßen. Die von ihnen projektierte Spielhölle muss genehmigt werden, das vermitteln die Pellegrinos jedem, der es wissen soll. Die Stadtverwaltung tritt dem nicht geschlossen genug entgegen. Ein Stadtrat verrät dem Clan, dass es Kollegen gibt, die strikt gegen eine weitere Spielhalle sind. Auch die Bürgerschaft ist mehrheitlich gegen eine Eröffnung dieser Lasterhöhle. Ihrer Meinung nach gibt es von diesen Groschengräbern schon zu viele.
Die Anfrage des Pellegrino-Clans erzeugt Streitigkeiten. Das Nein der Abgeordneten der Minderheitspartei PD, Donatella Albano, zieht Morddrohungen nach sich. Sie wird sogar unter Polizeischutz gestellt. Einige Stadträte müssen mitansehen, wie ihre Autos in Flammen aufgehen. Marco Sferrazza gehört zur Mehrheitspartei (Mitte-Rechts), die die Stadt in der Region Imperia regiert, und ist einer der Beigeordneten der Gemeinde Bordighera. Als ihn eines Morgens ein Carabinieri-Offizier in die Polizeikaserne bittet, ist er unschlüssig. Er versteht nicht, warum er dorthin kommen soll, oder zumindest gibt er vor, es nicht zu verstehen. Der Offizier möchte, dass der Politiker über die Drohungen aussagt, die er empfangen habe. Nach einem Moment des Zögerns beginnt der Assessor, das, was ihm widerfahren ist, darzulegen. Nachdem er sich während der Ausschusssitzung ebenfalls gegen die Eröffnung der Spielhölle ausgesprochen hatte, kamen Giovanni Pellegrino und dessen Schwager Francesco Barollaro bei Sferrazza zu Hause vorbei und gaben ihm – ohne dabei auch nur eine einzige Drohungen auszusprechen – unmissverständlich zu verstehen, dass sie sein Verhalten nicht nachvollziehen könnten. Dann verabschiedeten sie sich mit einem Satz, der den Assessor erschütterte: »Aber als ihr auf unsere Stimmen angewiesen wart, da haben wir für euch gestimmt, da haben wir euch geholfen.«
Das ist ein erster wichtiger Mosaikstein für die Ermittler, die daraufhin ihre Untersuchung ausweiten. Es kommt zu weiteren Geständnissen, und immer neue Hinweise und Dokumente werden gefunden. Auch Sferrazza weist den Carabinieri-Offizier noch auf etwas anderes hin. Dass die Ergebnisse der nichtöffentlichen Sitzung des Ausschusses durchgesickert seien, dahinter würden Rocco Fonti, ebenfalls Assessor in Bordighera, sowie Franco Colacito stehen. Der Bürgermeister habe im Übrigen auch zu denjenigen gehört, die die Eröffnung der Spielhalle befürworteten. »Weil er eine Gefälligkeit schuldig war«, vermutete Sferazza.
Auch der andere Assessor, der sich gegen die Spielhölle, die von Pellegrinos Frau geleitet werden soll, ausgesprochen hat, wird zu Hause von Pellegrinos Schwager besucht. Dieses Mal will sich der Schwager angeblich nur informieren, ob die Ablehnung persönlich mit der Familie Pellegrino zu tun habe. Solche Episoden werden den Staatsanwälten auch von anderer Seite bestätigt. Parallel zum Haftbefehl gegen die Brüder Pellegrino erstellen die Carabinieri von Imperia einen Bericht, in dem sie die Beziehungen zwischen der ’Ndrangheta und der örtlichen Politikszene beschreiben. In diesem ist von »interessanten Dokumenten« die Rede, die man bei der Durchsuchung der Pellegrino-Villa gefunden habe.
Dabei gehe es auch um Stimmenkauf. Es wird eine Zahl genannt: 200.000 Euro. Eine Art indirekte Parteienfinanzierung, zugunsten eines Politikers der ligurischen Riviera. Aber damit ist der Aufregung noch nicht genug. Im Juni 2009 fordern die Strafverfolgungsbehörden den Bürgermeister auf, ein Nachtlokal, das ausschließlich von Kriminellen frequentiert wird und in dem der ligurische Ableger der ’Ndrangheta eine Art Bordell betreibt, umgehend zu schließen. Diesem Ansinnen kam der Bürgermeister allerdings erst ein Jahr später nach, genauer
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